Ist eine nachhaltige Wirtschaft möglich? Oder ist das ein Widerspruch in sich? Wenn wir die Welt retten wollen, braucht es radikale Lösungen, Gesetze und eine Verhaltensänderung vieler.
Die wütende Greta Thunberg steht für ein Lebensgefühl, das viele Menschen umtreibt: In ihrer Rede am UN-Klimagipfel sagte die junge Aktivistin mit bebender Stimme: „Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme kollabieren. Wir stehen am Beginn eines Massensterbens – und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und das Märchen des Wirtschaftswachstums.“ Thunberg wendet sich an die Erwachsenen, die Unternehmen und Konzerne führen, Handelsabkommen verhandeln, Gesetze machen und durch ihren Konsum das Klima außer Rand und Band bringen. Sie wissen, dass das aktuelle Wirtschaftssystem Menschen arm bleiben lässt oder gar tötet und Pflanzen- und Tierreichtum zerstört. Und sie ahnen: Nachhaltigkeit geht anders.
Ist es möglich, das destruktive Rad der Zeit anzuhalten, ohne auf Wohlstand zu verzichten? Sind innovative Lösungen der Schlüssel? Oder müssen wir zu einem vorindustriellen Lebensstil zurückkehren, um Ausbeutung, Ungleichheit und Klimakrise zu stoppen?
Das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung beinhaltet ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Elke Schüßler, Professorin für BWL und Vorständin des Instituts für Organisation an der JKU, sagt: „Man muss diese Triple Bottom Line zusammendenken.“ Doch im Shareholder-Kapitalismus sei es nicht möglich, all das gleichzeitig zu erreichen: „Aber ob man den Kapitalismus überwinden oder nur besser regulieren muss, ist eine schwierige Frage.“
Unternehmen, die Umwelt und Natur nicht schaden und Menschen unter fairen Bedingungen beschäftigen, haben es im globalen Wettbewerb schwer. Ihre Produkte kosten meist mehr als jene, bei denen Ökologie und Soziales Nebensache sind. Im Moment gelingt es nur wenigen, auf allen drei Ebenen erfolgreich zu sein. Dazu gehört zum Beispiel „Grüne Erde“. Dagegen musste etwa das faire Öko-Modelabel „Göttin des Glücks“ 2018 nach 13 Jahren zusperren, weil es nicht gegen die Modeindustrie ankam.
Elke Schüßler fragt: „Muss ökonomische Nachhaltigkeit Profitmaximierung sein?“ Ökonomisch nachhaltig könne auch sein, Arbeitsplätze zu schaffen und lokale Communitys zu versorgen. Jeremy Rifkin und Naomi Klein fordern einen Green New Deal. Kleins neues Buch heißt „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“. Schüßler: „Die Politik kann große Anstrengungen unternehmen, um die Verhältnisse umzudrehen. Das ist mit dem New Deal in den 1930er-Jahren gelungen.“ Rifkin spricht im Untertitel seines Buchs davon, dass ein „kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann“.
Für den nötigen Wandel braucht es viele Protagonisten. Schüßler hält Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion für extrem wichtig: „Je mehr Menschen auf die Straße gehen, desto mehr politischer Druck entsteht.“ Für zentrale Player hält sie die EU und Wirtschaftsmächte wie China, wo etwa in Sachen erneuerbare Energien viel passiert. Dagegen gehe etwa Brasilien in eine andere Richtung.
Laut Katharina Hofer, Professorin am Institut für Handel, Absatz und Marketing der JKU, sind in erster Linie das Kundenverlangen und die öffentliche Meinung bestimmend dafür, wie sehr Unternehmen auf Ressourcenschonung und CSR-Maßnahmen setzen. Verordnete Maßnahmen würden am Bedarf und am Markt vorbeigehen: „Letztlich entscheidet der Kunde.“ Wobei kein Zweifel bestehe, dass sich CSR-Initiativen positiv auf Unternehmensimage und -erfolg auswirken. Sie sorgen laut Hofer für einen Wettbewerbsvorteil, weil sie die Beziehungen zu allen Stakeholdern vertiefen.
Hofer verweist auf den Trend zu nachhaltigem Konsum und dazu, Dinge reparieren zu lassen oder gebraucht zu kaufen: „Hier ist ein großes Umdenken spürbar.“ Doch ob sich dieses Bewusstsein durchsetzen wird, ist fraglich. Hofer verweist auf die Diskrepanz zwischen dem, was Konsumenten sagen, und dem, was sie tun. Insbesondere bei Konsumgütern finde der Wettbewerb nach wie vor über den Preis statt. Die Lösung sei auch ein politisches Thema. Zudem braucht echte Verhaltensänderung Zeit. Hinzu kommen Unsicherheiten bei Kaufentscheidungen wie etwa: Nehme ich den Bio-Knoblauch aus Südamerika oder den konventionellen aus der Region? Oder: Sind E-Autos wirklich nachhaltig?
Regina Gattringer, Professorin und Vorständin des Instituts für Strategisches Management an der JKU, betont, wie schnell sich das Konsumverhalten verändert hat: „Noch unsere Großeltern haben viel nachhaltiger agiert als unsere Generation.“ Auf der Unternehmerseite unterscheidet sie zwischen unterschiedlichen Ausgangspositionen: Wir haben Unternehmen, für die Nachhaltigkeit von Anfang an ein Wettbewerbsvorteil war und die Kunden ansprechen, die bereit sind, mehr für ökologische und sozial hergestellte Produkte zu bezahlen. Auf der anderen Seite stehen Firmen, die Nachhaltigkeit später als Add-on dazugenommen haben und oft in einem internationalen Wettbewerb mit Unternehmen stehen, die wenig nachhaltig sind. Sie müssen ihre Kunden erst davon überzeugen, höhere Preise zu zahlen, wofür diese in der Regel einen Zusatznutzen erwarten. Aber nicht immer braucht es bahnbrechende technologische Innovationen, oft reichen kreative Lösungen. Gattringer verweist etwa auf Automaten in Rom, die für eingeworfene Plastikflaschen ein Guthaben für den öffentlichen Verkehr ausspucken. Auch über solche „coolen Lösungen“ lasse sich viel bewegen.
Gattringer betont die Vorteile der Circular Economy, also einer Wirtschaft, die schon bei der Entwicklung den Produktzyklus, inklusive Recycling und Wiederverwertung, mitdenkt. Die Wissenschaft könne Firmen helfen, über den Tellerrand zu schauen. So engagierte sich Gattringer etwa im Open-Foresight-Projekt „Qualität 2030“, wo ein fruchtbarer branchenübergreifender Austausch zwischen elf Unternehmen, darunter AVL List, Grüne Erde, Infineon, Quality Austria, KEBA und Lenzing, stattfand. Da die Teilnehmer nicht in direkter Konkurrenz standen, war Offenheit möglich. Doch auch innerhalb von Branchen ist Kooperation wichtig. Gattringer: „Einzelne Unternehmen in den Wertschöpfungsketten können oft wenig bewirken. Wir werden nur Lösungen finden, wenn wir das ganze System betrachten.“ Trotz vieler Bemühungen sind Zweifel angebracht, wie nachhaltig die Wirtschaft – zumal weltweit – in absehbarer Zeit werden kann. Elke Schüßler nennt ein Beispiel: „Kann es funktionieren, wenn Unternehmen wie Apple alle zehn Jahre ein Gerät verkaufen und in der restlichen Zeit Dienstleistungen anbieten?“ Im Bekleidungsbereich, auf den sie spezialisiert ist, würden durch das Ende von Fast Fashion viele ArbeiterInnen ihre Jobs verlieren. Welche Alternativen hätten sie? Arbeit gäbe es genug, etwa in der Pflege oder Lehre, doch: „Man muss das ganze Gesellschaftssystem umgestalten und Geld anders verteilen.“
Und was würde Greta zu alldem sagen? Vermutlich: Es braucht viel radikalere Veränderungen als ein paar technische Lösungen. Und dass wir Erwachsenen uns viel zu wenig anstrengen. Und vielleicht auch, dass es hier um alles geht – und nicht nur um unsere liebgewonnenen Konsumgewohnheiten. Und sie hätte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Recht.