Bei einem Waldspaziergang entdeckt der JKU Physiker Robert Koeppe einen Baum, der von Pilzen zersetzt wird. Er beginnt zu forschen und findet heraus: Der Pilz kann noch viel mehr.
Der glänzende Lackporling ist zunächst einmal eine optische Erscheinung. Der recht große Pilz mit dem Artnamen Ganoderma lucidum ist durch einen gelblich, rötlich-braunen Hut am Fruchtkörper erkennbar, er glänzt wie von einer Lackschicht überzogen. Im ost- und südostasiatischen Raum schwört man auf die Heilkräfte des auf Bäumen und Ästen wachsenden Lackporlings. Als Speisepilz ist er trotzdem ziemlich ungeeignet, als Holzschädling aber genauso unbedeutend, weil er eben nur auf absterbendem Holz zu finden ist. Dabei zerlegt der Pilz die Umgebung so weit, dass er sich damit selbst mit Nährstoffen versorgen kann – mit Kohlenhydraten und Proteinen. Das Myzel, die fadenförmigen Zellen des Pilzes, verwächst in das Holz und bildet so eine feste Einheit.
Alternative für Styropor?
Eine Eigenschaft, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr interessiert, vor allem, weil der Pilz beim Ineinanderwachsen mit dem organischen Material Grenzen erkennt. Das heißt: Wenn man das Myzel des Lackporlings unter kontrollierten Umweltbedingungen auf feuchten Holzspänen wachsen lässt und das innerhalb eines Formmodells aus anorganischem Material, nimmt die so entstehende Masse genau die vorgegebene Form an. Auch bleibt diese Form nach dem Erhitzen und dem damit verbundenen Abtöten des Pilzmyzels immer noch gleich. Vielleicht könnte man so die großen Mengen des in der Herstellung teuren Styropors ersetzen, die derzeit in Umlauf sind: Als Verpackungs- und Baumaterial landet expandiertes Polystyrol, so der in der Chemie verwendete Name, im Müll und bildet gemeinsam mit Plastikabfall mittlerweile erschreckend große Müllinseln an den Stränden der Weltmeere. Sie gelangen nicht notwendigerweise durch Urlauberinnen und Urlauber dorthin, sondern vor allem über Flüsse oder Winde. Bisher kennt man nur einen natürlichen Abbau der Styroporplatten. Vor fünf Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Stanford University entdeckt, dass Mehlwürmer Styropor fressen und in ihren Gedärmen zersetzen. Die Pilz-Holzspan-Kombination wäre als reines Naturprodukt nicht nur billiger in der Herstellung, sondern auch deutlich weniger aufwendig beim Recycling.
Robert Koeppe gehört zu den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit diesen Eigenschaften des Lackporlings beschäftigen. Der Physiker kam für ein Doktoratsstudium von der Ludwig-Maximilians- Universität (LMU) München an die Johannes Kepler Universität Linz. Später war er Mitbegründer eines ITStart- ups mit Sitz im Softwarepark Hagenberg (isiQiri interface technologies) und nach dessen Verkauf Produktmanager beim Automationszulieferer STICHT – ebenfalls in Hagenberg. Seit Kurzem baut er eine Forschungsgruppe an der JKU im Department für Soft Matter Physics auf. Die Forschung an Pilzen habe enormes Wachstumspotenzial, erzählt Koeppe. Bisher wisse man nur, dass es zehnmal so viele Pilze wie Pflanzenarten gibt. Die Wissenschaft kenne nur maximal zehn Prozent davon. Da Pilze nicht zur Photosynthese fähig sind, müssen sie sich von organischen Verbindungen aus ihrer Umwelt ernähren, wie es der Lackporling macht. Erst wenn man versteht, wie sie leben, kann man begreifen, wie die Verbindung funktioniert. Ein Beispiel sind sogenannte Mykorrhiza-Pilze. Sie gehen unterirdisch auf die Wurzel lebender Pflanzen und geben ihr Wasser und Nährsalze. Orchideen können ohne diese lebenslange Beziehung gar nicht existieren. Die Pilze erhalten aber auch etwas dafür: Produkte der Photosynthese. Expertinnen und Experten wie Koeppe wissen, dass in einem Buchenwald ein Drittel dieser Assimilate von der Mykorrhiza verbraucht wird. Die Bäume sind nicht nur direkt mit den Pilzen, sondern über sie auch untereinander verknüpft, wie man mittlerweile weiß, tauschen untereinander Nährstoffe aus. „Der ganze Wald wird zu einem einzigen Organismus“, sagt Koeppe. Und er ergänzt: „Das hört sich nach Esoterik an, ist aber inzwischen wissenschaftlich gut fundiert.“
Neulich war der Wissenschaftler selbst im Wald und hat an einer Buche zehn verschiedene Fruchtkörper entdeckt. Ganoderma lucidum war nicht darunter, aber viele andere Arten von holzbewohnenden Pilzen. Koeppe: „Es gibt keine belastbaren Schätzungen über die Anzahl geeigneter Pilze. Auf einem Regenwaldbaum würde es noch viel mehr Arten geben.“ Der Pilz, der den Wissenschaftler besonders interessiert, kommt weltweit vor. Er dürfte also sehr anpassungsfähig sein. Für eine eventuelle industrielle Produktion ist entscheidend, dass die Holzspäne feucht und sauber sind. Es dürfen keine Bakterien oder andere Pilze dazu gelangen. Bei 20 bis 27 Grad wächst das Myzel des Pilzes im Dunkeln und braucht dazu etwa eine Woche. Am Ende wird das entstandene Geflecht bei 100 Grad getrocknet und abgetötet, es entsteht ein leichtes, sehr gut wärme- und schalldämmendes Material. Die industrielle Fertigung ist gar nicht so weit weg, wie man glauben könnte. Koeppe erzählt von einem italienischen Unternehmen namens Mogu, das Panels solcherart erzeugt, die man sich zur Wärmeund Schalldämmung an die Wand hängen kann und „hübsch aussehen“. Bodenplatten seien von Mogu bereits angekündigt worden.
Das New Yorker Unternehmen Ecovative Design, Marktführer auf dem Gebiet des Mushroom Packaging (Pilzverpackung), erzeugt umweltschonendes Verpackungsmaterial mit dem Holzspan-Pilzmyzel-Komposit.
Ein Netzwerk als Ziel
Koeppe selbst möchte ein Netzwerk für diese Forschungen aufbauen: Mit dem Mushroom Research Center aus Innsbruck und dem oberösterreichischen Kompetenzzentrum Wood K plus kooperiert er bereits. Weitere Kooperationen in der industriellen Anwendung werden gesucht. Am Ende soll das Netzwerk die gesamte Entwicklung von der Grundlagenforschung zur praktischen Umsetzung abbilden. Es gilt abzuwarten, bis sich ein österreichisches Unternehmen die Erkenntnisse von Koeppes Forschungen für die Umsetzung neuer Ideen genauer ansehen wird. Auf dem Weg zur umweltfreundlichen Pilzverpackung ist er jedenfalls.