Wenn man ein wenig pathetisch sein möchte, und das ist kein Fehler in allzu nüchternen Zeiten, dann stand nichts weniger als „das friedliche Zusammenleben aller Völker“ Pate bei der Gründung jener Universitätsstelle, die man heute schlicht Bibliothek der JKU nennt.
Rückblende 24. August 1949: Die „Amerikanische Bibliothek in Linz eröffnet“ titelt das „Tagblatt“ auf Seite vier. In einer Zweigstelle der „Informationszentrale“ für Displaced Persons kommen die Honoratioren von Stadt und Land mit den Spitzen der lokalen US-Militärs zusammen, mit dem Ziel, „die Bevölkerung mit den Erzeugnissen des Geistes des amerikanischen Volkes bekanntzumachen“. Nach „den unseligen Jahren“ (Landeshauptmann Gleißner) bzw. nach den „Jahren, die wir von der geistigen Welt abgeschnitten waren“ (der Linzer Bürgermeister Koref), könne man nun an den Fortschritten der Welt teilhaben. Der Gründung komme völkerverbindende Bedeutung zu.
Im „Amerikanischen Haus“ in der Goethestraße 22, das 1965 seine Pforten schloss („eine glückliche Fügung“ laut Hochschulfonds), war dann auch jener Ort, an dem der erste Beamte der Linzer Hochschule seinen Dienst antrat: Dr. Robert Rehberger, Staatsbibliothekar II. Klasse. Er baute die Bibliothek der späteren JKU aus den 6.500 Bücher zählenden US-Beständen auf, die als „Kennedy-Stiftung“ an den Hochschulfonds gingen. Durchaus mit Einsatz: Die Uni-Bibliothek Graz vermachte den Linzer Kollegen 8.500 Bücher aus ihrem Doublettenbestand, die Rehberger und seine Helfer, wie er vermerkt, in einer zügigen transalpinen Fahrt in einem 200 PS starken Lkw auf teilweiser Schneefahrbahn nach Oberösterreich holten. Weitere Schenkungen und Ankäufe ließen den Buchbestand innerhalb von drei Jahren auf 50.000 steigen. Heute befinden sich eine Million Bücher in der Hauptbibliothek mit ihren Filialen Juridicum und Fachbibliotheken, 55.000 E-Books können eingesehen werden, 23.000 E-Journale und 90 Recherchedatenbanken. Damit man sich das vorstellen kann, hat Susanne Casagranda, Direktorin der Unibibliothek, gerechnet: Das Gewicht der Bücher entspricht dem von 150 männlichen afrikanischen Elefanten.
Obwohl die Bibliothek quasi eine Vorläuferrolle für die Johannes Kepler Uni spielte und in der Goethestraße ihr erster Rektor, Ludwig Fröhler, gewählt wurde, dauerte es, bis zusammenwuchs, was zusammengehörte. Erst 1967, ein Jahr nach der Eröffnung der „Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“, zieht die Bibliothek in die Altenberger Straße ein – und zwar mangels Alternative in das Stockwerk über der Mensa. Provisorisch. Das Provisorium sollte nach österreichischer Tradition lange halten, genau 18 Jahre lang.
Otto Ruhsam, von 1972 bis zu seiner Pensionierung Mitarbeiter der Uni-Bibliothek, erinnert sich an jene dunklen Zeiten (die Beleuchtung war suboptimal, die Fenster zu klein), an die „olfaktorischen Belastungen“ durch den darunterliegenden Speisesaal und die falsch dimensionierte Lüftung. 1984 schließlich übersiedelte die Bibliothek in einen Neubau neben der Mensa, wo sie bis heute logiert. Die Besucherzahlen stiegen, von rund 10.000 im Jahr 1968 bis zu mehr als 300.000 Lesern heute.
Vieles hat sich verändert, auch in der Verwaltung. Michaela Swoboda, langjährige Mitarbeiterin der Bibliothek, erinnert sich: „Am Anfang haben wir Kärtchen schreiben müssen – nach dem System der Preußischen Instruktionen, einem altvaterischen Regelwerk. Dann hat man auf Matrizen geschrieben, dann gab’s den ersten Kopierer, einen Ubix, später kam der erste Macintosh, und dann ist alles sehr schnell gegangen, bis zu den EDV-Verbundsystemen für ganz Österreich.“ Heute sind Cloudsysteme State of the Art.
An deren Anfänge blickt Ruhsam mit Schmunzeln zurück: „Ende der 1970er-Jahre haben wir gemeinsam mit den Informatikern versucht, eine Bücher-Datenbank im Verwaltungsrecht zu machen – mit Lochkarten und Magnetbändern. Damals hat noch kaum jemand gewusst, was EDV überhaupt heißt.“ Bibliotheksarchivar Wolfgang Reder ergänzt die Rückschau auf die frühen Tage der Datenverarbeitung mit einem alten Foto: „Da wurden die Honoratioren des Linzer Hochschulfonds, unter anderem Alt-Landeshauptmann Heinrich Gleißner oder der Linzer Altbürgermeister Ernst Koref, durch das Rechenzentrum geführt. Es wird ihnen gezeigt, was da vor sich geht. Die Skepsis in ihren Blicken ist deutlich zu sehen – ob das seltsame Zeug denn etwas kann.“
Insgesamt entbehrt die Sicht der Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf ihre Besucher nicht eines gewissen Unterhaltungswerts. Man habe ziemlich genau erraten, was die jungen Menschen studierten, heißt es. Die Informatiker, die Physiker und Chemiker seien sehr leger dahergekommen, nicht so sehr auf Kleidung erpicht wie die Betriebswirte. Die Juristen hingegen seien anfangs meist etwas schlampig gewandet gewesen, „tauchten aber nach ein paar Wochen im Blazer auf, als würden sie an einer Regatta auf dem Uni-Teich teilnehmen müssen“. Die Soziologen seien hingegen „überlocker“ und mit sehr langen Haaren aufgetreten – im, na klar, schwarzen Rollkragenpullover. Und dann soll es da auch noch einen Professor gegeben haben, der mit zerrissenen Jeans herumgelaufen war, Jahrzehnte bevor der Shabby Chic en vogue wurde. Ein Rückblick, der zum Teil aus Zeiten stammt, da es ein Akt der Revolution war, zur Sponsion die Beatles aufzulegen, statt ein Streichquartett zu engagieren.
Nicht immer nur Studenten bevölkerten die Bibliothek. So manche Pensionisten schmökerten in Magazinen oder Börseberichten, der eine oder andere Obdachlose wärmte sich winters auf, und wer weiß, wer aller zu den mehr oder weniger offiziellen Faschingsfesten kam, die zwischen den Bücherregalen weiland stattfanden. Darunter jedenfalls jene zwei, die recht lange den Lift in der Bibliothek blockierten. „Es war früher ein wenig intimer“, erinnert sich Ruhsam an die Anfangstage der Uni.
Die Welt drehte sich weiter, die Zugänge zum Wissen führen heute durch Kabel, man greift von extern zu. Dennoch: „Die Studenten kommen auch heute noch in die Bibliothek, weil sie sie als sozialen Ort sehen. Entweder zum Austausch oder zum gemeinsamen Lernen“, sagt Direktorin Casagranda. Nach wie vor gebe es viele, die sich immer noch Bücher ausleihen und hier auch solo lernen. Online alleine reiche ihnen nicht. Eine Veränderung allerdings sei nicht zu übersehen: „Die Studenten sind mehr zu Einzelgängern geworden“, meint Manuela Wiesinger, langjährige Mitarbeiterin der Bibliothek. „Da liegt der Laptop auf dem Tisch, daneben das Handy, da wird YouTube geschaut und gesmst. Die Leute reden weniger miteinander als früher.“ Still sind auch jene, die damals wie heute in der Bibliothek am Freitagvormittag jene erquickende Ruhe genießen, die sie aufgrund des Mensafestes am Vorabend vermissen, außer sie schnarchen. Die obskurste Erinnerung von Frau Wiesinger? „Ein Buch, das einmal mit einem ganz speziellen Lesezeichen zurückgegeben wurde – einem Speckschwartl.“
Es ist bewusst der soziale Aspekt, der bei der im Bau befindlichen Aufstockung der Bibliothek die Hauptrolle spielt. Im „Learning Center“, das im Frühjahr 2020 eröffnet werden soll, sind neue Recherchezonen ebenso wie ausgedehnte Kommunikationsbereiche geplant, die mittels mobiler Möbel flexibel auf die Bedürfnisse von Lerngruppen abgestimmt werden können. Solche Lernformen werden immer wichtiger. Schön hell wird es oben im Neubau sein und chillig. Ein wenig wie in einem schönen Wohnzimmer mit Lounge-Charakter. „Vielleicht stellen wir Liegestühle hinter der Glasfront auf“, sagt Casagranda mit einem halbernsten Lächeln auf den Lippen.
Ja, warum nicht?