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Kepler Tribune
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ILLUSTRATION: BETTINA WILLNAUER
Kommentar Ausgabe 2/2022

Das große Taumeln

Der Angriffs­krieg Russ­lands erschüt­tert Europa. Man hätte es bes­ser wis­sen kön­nen. Viele Jahre haben wir Wohl­stand mit Demo­kra­tie ver­wech­selt und hat­ten kein Pro­blem mit illi­be­ra­len Poli­ti­kern. Nun erfah­ren wir schmerz­haft, dass es so nicht wei­ter­ge­hen kann. Ein Essay.

Von Claus Pándi
Hintergrund Ausgabe 2/2022

Fossiles Finale

Putins Krieg hat es end­gül­tig klar­ge­macht: Wir müs­sen raus aus Öl und Gas. Jetzt. Aber wie schaf­fen wir das? Und wie schnell?

Von Gerlinde Pölsler
ILLUSTRATION: BETTINA WILLNAUER
Hintergrund Ausgabe 2/2022

Besser wird's nicht

Ob Corona, Ukraine-​Krieg oder Infla­tion: Lang­sam zwei­feln wir an unse­rer Sorg­lo­sig­keit und der Gewiss­heit, dass die Welt, in der wir leben, eine immer bes­sere wird. Aber wenn es nicht mehr berg­auf geht, wohin geht es dann?

Von Lisa Edelbacher
Im Gespräch Ausgabe 2/2022

Schleim und Empö­rung

Es gehört zu den Grund­fer­tig­kei­ten des post­he­roi­schen Poli­ti­kers, der post­he­roi­schen Poli­ti­ke­rin in Öster­reich, mög­lichst nichts Bemer­kens­wer­tes zu sagen, nichts, was in Erin­ne­rung blei­ben und spä­ter ein­mal gegen einen ver­wen­det wer­den könnt e. Also man soll sich nur ja nicht bei einer poin­tier­ten For­mu­lie­rung oder gar bei der Wahr­heit ertap­pen las­sen. So lebt’s sich legis­la­tur­pe­ri­oden­lang ruhig und ange­nehm.

Einen gewal­ti­gen Lap­sus in Sachen Wahrheits-​ und Poin­ten­ver­mei­dung hat sich im Früh­jahr die­ses Jah­res Wer­ner Kog­ler, Öster­reichs Vize­kanz­ler, geleis­tet. In der „Zeit im Bild“ hat Kog­ler am 7. März am Beginn des Ukraine-​Krieges die (vorige) Bun­des­re­gie­rung und die Wirt­schafts­kam­mer scharf kri­ti­siert – man habe, so Kog­ler, Putin einen roten Tep­pich aus­ge­rollt, einen „roten Tep­pich mit Schleim­spur“.

Mein Gott: Mit dem Kog­ler ist es durch­ge­gan­gen! Das ist ja – unver­zeih­lich – glän­zend for­mu­liert, und der Mann hat (noch schlim­mer) sogar recht. Über Jahre hat man Putin in Öster­reich den roten Tep­pich aus­ge­rollt und auf dem Tep­pich sind die Schleim­spu­ren noch sicht­bar – pein­li­che Fle­cken, Spu­ren der Anbie­de­rung.

Die graus­li­che Schleim­spur ist eine unheim­li­che Erin­ne­rungs­spur. Es braucht keine son­der­li­che Archiv­re­cher­che: Öster­reichs Poli­tik hat Wla­di­mir Putin über Jahre hofiert, mit und ohne Ohrring-​Geschenke, man hat rinks wie lechts den Auto­kra­ten über Jahr­zehnte gewäh­ren las­sen – bei der Abschaf­fung der Pres­se­frei­heit, bei der Anne­xion der Krim, bei der Bezeich­nung der Ukraine als ver­fehl­ten Staat usw. usf. Man hat die Abhän­gig­keit von rus­si­schem Gas und Öl aus­ge­baut und damit Putin und die Sei­nen zum Krieg, dem schlimms­ten Ver­bre­chen, nach­ge­rade ani­miert. Der Puti­nis­mus, der im Krieg mün­dete, ist das Unge­heuer, das die öster­rei­chi­sche Poli­tik mit­er­zeugt hat.

In einem klei­nen, auch heute noch lesens­wer­ten Auf­satz („Über das Unheim­li­che“) hat Sig­mund Freud vor mehr als hun­dert Jah­ren auf die eigen­tüm­li­che Qua­li­tät des Unheim­li­chen hin­ge­wie­sen. Das Un-​Heimliche ist das Gegen­teil des Hei­me­li­gen und des Heim­li­chen im Wort­sinn: Das, was mög­lichst heim­lich blei­ben sollte, kehrt plötz­lich wie­der, wird un-​heimlich. Wird die Auf­he­bung des Heim­li­chen öffent­lich, erzeugt sie Scham.

Die Reak­tion auf die Wie­der­kehr des Ver­dräng­ten? Sie ist eine dop­pelt empörte: Man ist zunächst empört über den Boten Kog­ler, der die Sache in Erin­ne­rung geru­fen hat und der mit sei­nem glän­zen­den Bild vom Tep­pich und den Spu­ren dar­auf gegen den Kon­sens der Null­rhe­to­rik (siehe oben) ver­sto­ßen hat. Die zweite Reak­tion ist eben­falls Empö­rung, eine ebenso laut­starke wie schein­hafte Empö­rung, die von Scham und Schuld ent­las­ten soll. Man empört sich nun, da alles zu spät ist, über „den Krieg und sei­nen Schre­cken“, um die Schleim­spu­ren zu ver­wi­schen und die Scham zu kom­pen­sie­ren. Bun­des­kanz­ler Neham­mer reist in einer sinn­lo­sen Despe­ra­do­ak­tion nach Mos­kau, um sich ein mora­li­sches Fleiß­zet­terl abzu­ho­len, und man hält sich an Künst­le­rin­nen und Sport­ler. Man for­dert in offe­nen Brie­fen „vehe­ment“ „öffent­li­che Stel­lung­nah­men“ ein, stim­men die Auf­ge­for­der­ten nicht sogleich ein, kri­ti­sie­ren die Hal­tungs­lo­sen deren man­gelnde „Hal­tung“ (und ent­las­sen sie kur­zer­hand). So ver­wischt man preis­güns­tig die Schleim­spu­ren.

Aber eben auch nicht ganz: Dass Kogl er dar­auf auf­merk­sam gemacht und das Ver­drängte poin­tiert zu Bewusst­sein gebracht hat, ist im poli­ti­schen Juste Milieu Öster­reichs ein Skan­dal. Wir sind ihm dank­bar dafür!  

Von Ernst Strouhal
Angelika Kessler
Angelika Kessler
Im Gespräch Ausgabe 2/2022

Dürfen wir noch Pelmeni essen?

Seit dem Beginn der Kriegs­hand­lun­gen in der Ukraine im Februar hören wir ver­mehrt Berichte über Geschäfte, die rus­si­sche Pro­dukte wie Wodka und Pelmeni-​Teigtaschen aus dem Sor­ti­ment neh­men, rus­si­sche Kunst­schaff ende, die aus­ge­la­den wer­den und ihre Anstel­lung ver­lie­ren, und Cafés und Restau­rants, die rus­si­sche Gäste nicht mehr bedie­nen wol­len. McDo­nald’s und andere Unter­neh­men zie­hen sich ganz aus Russ­land zurück. Diese Hand­lun­gen sol­len als Zei­chen der Soli­da­ri­tät mit der Ukraine ver­stan­den wer­den, als Kri­tik am rus­si­schen Regime, und sie sol­len die Ukraine durch Schwä­chung der rus­si­schen Wirt­schaft unter­stüt­zen. Auch wenn die Ant­wort auf die Frage, wer Aggres­sor und wer Opfer in der jet­zi­gen Situa­tion wenig zwei­deu­tig ist, kön­nen und müs­sen wir erör­tern, ob sol­che Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen und wirt­schaft­li­chen Maß­nah­men ver­tret­bar und mora­lisch gerecht­fer­tigt sind.

In sei­nem berühm­ten Auf­satz „Poli­tik als Beruf“ (1919) unter­schied Max Weber zwi­schen zwei unter­schied­li­chen Stand­punk­ten, von denen man ethisch ori­en­tierte Hand­lun­gen betrach­ten kann: dem der Gesin­nungs­ethik und dem der Ver­ant­wor­tungs­ethik. Der Gesin­nungs­ethi­ker han­delt nach Maxi­men wie Kants kate­go­ri­schem Impe­ra­tiv oder dem libe­ra­len Ver­bot, grund­le­gende Rechte von Men­schen zu ver­let­zen. Der Ver­ant­wor­tungs­ethi­ker schaut auf die Fol­gen einer Hand­lung und bewer­tet sie als mora­lisch gerecht­fer­tigt, solange sie per Saldo das Gute in der Welt meh­ren.

Schon von einem gesin­nungs­ethi­schen Stand­punkt sind viele der Boy­kott­maß­nah­men mora­lisch zumin­dest pro­ble­ma­tisch. Der Kern von Kants Impe­ra­tiv ist die Ansicht, eine Hand­lung müsse gene­ra­li­sier­bar sein, um als mora­lisch ver­tret­bar zu gel­ten. Wir soll­ten also rus­si­sche Waren oder Künst­ler nur dann boy­kot­tie­ren, wenn wir auch bereit wären, Ver­gleich­ba­res in ähn­li­chen Kon­flik­ten zu tun. Das erscheint aller­dings wenig rat­sam. In der Welt toben zahl­rei­che Kon­flikte, und auch wenn uns die Ukraine näher erscheint, ist es nicht gerecht­fer­tigt, hier mit zwei­er­lei Maß zu mes­sen. Zudem ist wahr­schein­lich, dass Rechte der Betei­lig­ten ver­letzt wer­den, wie z.B eigen das Recht, nicht auf­grund bestimm­ter Merk­male wie Mut­ter­spra­che, Haut­farbe oder eth­ni­scher Zuge­hö­rig­keit dis­kri­mi­niert zu wer­den.

Eine Schwie­rig­keit mit der ver­ant­wor­tungs­ethi­schen Bewer­tung ist die genaue Vor­her­sage der Fol­gen der Hand­lung, ins­be­son­dere, wenn man sinn­vol­ler­weise ver­langt, alle Fol­gen zu berück­sich­ti­gen. Was aber klar ist, ist, dass die tat­säch­li­chen Fol­gen nur sel­ten mit den inten­dier­ten Fol­gen über­ein­stim­men. Nur weil bestimmt e Maß­nah­men das rus­si­sche Regime schwä­chen sol­len, heißt das nicht, dass sie es auch tun. Vor allem kann es auch eine große Anzahl von Leid­tra­gen­den geben, die mit der rus­si­schen Poli­tik wenig oder gar nichts zu tun haben. Als Bei­spiele mögen die Ange­stell­ten der rus­si­schen McDo­nald’s-​Filialen die­nen, die nun ihren Job ver­lie­ren, die Zulie­fe­rer und Aktio­näre von Mc-​Donald’s oder die Kon­su­men­ten rus­si­scher Pro­dukte bei uns.

Natür­lich folgt aus Gesag­tem nicht, dass es nicht auch sinn­volle Maß­nah­men geben kann. Wenn etwa die Aus­lands­ver­mö­gen rus­si­scher Olig­ar­chen ein­ge­fro­ren wer­den, um zu errei­chen, dass sie Druck auf die Regie­rung aus­üben, die Kampf­hand­lun­gen ein­zu­stel­len, kann dies durch­aus ver­tret­bar sein. In vie­len Fäl­len schei­nen sie aber ihr Ziel zu ver­feh­len und vor allem unbe­tei­ligte Rus­sen und hie­sige Kon­su­men­ten zu tref­fen. In sol­chen Fäl­len, so wohl­in­ten­diert die Maß­nahme auch sein mag, müs­sen von ver­schie­de­nen ethi­schen Stand­punk­ten aus berech­tigte Zwei­fel ange­mel­det wer­den.  

Von Julian Reiss
Campus Ausgabe 2/2022

Kunst für die Technik und Technik für die Kunst

Im Rah­men des LIT-​Calls prä­sen­tie­ren For­scher*innen der JKU ins­ge­samt neun Pro­jekte bei der Ars Elec­tro­nica: Über allzu devote Tech­nik, Musik­stü­cke, die andere ver­schlu­cken, und die Frage „Kön­nen Han­dys Kunst genie­ßen?“

Von Anne-Cathrin Simon
Ars Electronica Festival 2022
Visionen Ausgabe 2/2022

Die unend­liche Geschichte von der unend­li­chen Suche nach dem Planeten B in den unend­li­chen Weiten des Welt­alls und auf der Erde

Das Ars Elec­tro­nica Fes­ti­val am JKU Cam­pus Linz steht in die­sem Jahr unter dem Motto „Wel­come to Pla­net B“. Irgendwo da drau­ßen muss es ihn doch geben. Wo genau er sich befin­det, weiß man noch nicht. Wie man dort jemals hin­kom­men könnte, ist auch noch nicht klar. Doch der Blick über den Pla­ne­ten A hin­aus eröff­net neue Per­spek­ti­ven auf die Erde selbst.

Von Florian Freistetter
Hintergrund Ausgabe 2/2022

Die Bohne der guten Hoff­nung

Soja spielte eine Schlüs­sel­rolle in der Glo­ba­li­sie­rung, nährte die Gier nach Fleisch und wurde zum Sinn­bild für Umwelt­sün­den. Nun soll die Bohne die Welt ret­ten. Wie viel Kraft für einen Sys­tem­wech­sel steckt in ihr?

Von Verena Kainrath
Eine Sojabohne
Eine Liegekur an der frischen Luft sollte Tuberkulose-Patient*innen wie hier auf der Terrasse der Villa Pravenda in Davos heilen. Ca. 1900
Wissen Ausgabe 2/2022

Nicht von gestern

Viele Men­schen hal­ten die Tuber­ku­lose für eine Krank­heit, die der Ver­gan­gen­heit ange­hört. Dabei erkran­ken jähr­lich nach
wie vor mehr als zehn Mil­lio­nen Men­schen welt­weit daran, für 1,5 Mil­lio­nen Men­schen endet sie mit dem Tod. Sie  aus­zu­blen­den, kann gefähr­lich sein. Wie schnell die Fall­zah­len wie­der stei­gen kön­nen, zeigt sich aktu­ell in der Ukraine.

Von Markus Staudinger
Visionen Ausgabe 2/2022

Somnium - Der Traum von Wissen­schaft

Für mich heißt träu­men, ohne Gren­zen zu den­ken. Ohne Ein­schrän­kun­gen der phy­si­schen Welt die Gedan­ken frei zu las­sen. Unge­zü­gel­tes Den­ken, Krea­ti­vi­tät und Fan­ta­sie sind oft auch Wis­sen­schaft in ihrer reins­ten Form. Statt „more of the same“ ent­steht dann „some­thing com­pletly dif­fe­rent“.

Die­ses völ­lig Neue ist es, was die Welt immer und immer wie­der einen Schritt nach vorne bringt. Das Bre­chen von Nor­men, von gelern­ten Mus­tern ist dafür genauso Vor­aus­set­zung wie die Freude am Neuen. Ich habe mich vor ein paar Jah­ren ent­schie­den, auf Flug­rei­sen zu ver­zich­ten. Gänz­lich. Kurz spä­ter habe ich mich dafür ent­schie­den, weni­ger und weni­ger mit dem Auto zu fah­ren. Das ist am Anfang nicht ein­fach. Weil es gegen gelernte Mecha­nis­men geht. Heute fehlt mir und mei­ner Fami­lie nichts. Im Gegen­teil, wir lie­ben diese neuen Erleb­nisse. Dinge, die wir frü­her wenig beach­tet haben, haben eine neue Qua­li­tät bekom­men. Für mich ist es eine per­sön­li­che Ent­schei­dung, aus dem Druck der „Fast Fashion“ aus­zu­stei­gen. Nicht jeden Win­ter muss eine neue Jacke her – pro­du­ziert in Süd­ost­asien unter indis­ku­ta­blen Arbeits­be­din­gun­gen, auf Con­tai­ner­schif­fen um die halbe Welt gekarrt, damit sie dann zehn Monate spä­ter farb­lich nicht mehr dem „Trend“ ent­spricht. Neue Klei­dung muss für mich unter fai­ren Arbeits­be­din­gun­gen her­ge­stellt wer­den, am bes­ten aus Natur­fa­sern. Die Wis­sen­schaft zeigt uns, dass diese Träume rich­tig und mög­lich sind. Unsere Gewohn­hei­ten machen den Umstieg schwer. Aber nur so lange, so lange nicht neue, gerech­tere Gewohn­hei­ten da sind.

Wenn ich heute über den JKU Cam­pus gehe, dann sehe ich hier Gebäude ver­schie­dens­ter Bau­stile – vom Schloss über das Kep­ler­ge­bäude, den TNF-​Turm bis zur Kep­ler Hall. Unter­schied­li­che Heiz­tech­ni­ken, unter­schied­li­che Ener­gie­klas­sen. Wenn ich dann träume, dann träume ich von einer kli­ma­neu­tra­len, ener­gie­aut­ar­ken Uni­ver­si­tät. Wo wir auf Dächern Son­nen­strom machen und mit erneu­er­ba­ren Ener­gie­for­men hei­zen. Wo wir eine Uni­ver­si­tät nicht in der Natur, son­dern mit der Natur haben. Das ist mein Traum einer „neuen Nor­ma­li­tät“.

Die Wis­sen­schaft, dar­über kann es keine zwei Mei­nun­gen geben, ist eine auf­re­gende Sache. In jeder Aus­gabe wid­men wir ihr des­halb die letz­ten Zei­len. Die­ses Mal haben wir mit Maria Buch­mayr, Nach­hal­tig­keits­be­auf­tragte der JKU, gespro­chen.  

Maria Buchmayr
(c) Dieter Decker
Kepler Salon Ausgabe 2/2022

Das Orts­üb­liche ist nie das Mögliche!

NOR­BERT TRA­WÖ­GER fin­det, dass wir uns jen­seits des Gewohn­ten mehr für uns anstren­gen soll­ten.

Kepler Salon Ausgabe 2/2022

Das Leben ist schön, macht aber viel Arbeit

Das Leben ist schön, macht aber viel Arbeit H inter mei­nem Rücken bin ich zu einem eif­ri­gen Men­schen gewor­den, „udaungs“, wie meine Mühl­viert­ler Ahnen gesagt hät­ten. Im Ver­gleich zu ihrem exis­ten­zi­ell not­wen­di­gen Fleiß ist meine Emsig­keit natür­lich ein Witz. Auf dem Ster­be­bett hatte die Groß­mutter meine Hand in die ihre genom­men und gestrei­chelt, sie fuhr über­rascht über die Schwie­len. „Du bist ja doch eine für die Arbeit!“, sagte sie, und ich wagte nicht zu beken­nen, dass die Horn­haut bloß vom Frei­zeit­ver­gnü­gen in der Klet­ter­halle stammte.

Heute leis­tet mir die Sport­haut gute Dienste, ich kann die Gemü­se­beete umste­chen, ohne Bla­sen zu bekom­men, ich schaufle reich­lich Kom­post in die Scheib­truhe, ich schraube ohne Hand­schuhe einen wind­schie­fen Zaun zusam­men, damit mir die Nach­bar­hunde nicht die Wel­pin sek­kie­ren. Auch die Fuß­ma­schine läuft rund, damit lässt es sich den gan­zen Tag durch das Tote Gebirge stap­fen. Was ich nicht leis­ten kann: 40 Stun­den arbei­ten. Ich schaffe mal 20, mal 60 in der Woche, sel­ten 12 an einem Tag, aber einem Betrieb, einem Men­schen, einer Sache genau 40 Stun­den zu die­nen, dafür ist der Geist nicht wil­lig und das Sitz­fleisch zu schwach. Selbst­stän­dige Arbeit kann auch recht unbe­quem sein, aber dar­über zu jam­mern ist unge­fähr so ziel­füh­rend wie die Klage, dass es doch recht steil zum Gro­ßen Priel hin­auf­gehe.

Damit wir uns recht ver­ste­hen: Das hier wird nicht das ver­wöhnte Plä­doyer einer ver­wöhn­ten Frau, sich doch bitte auch ein freies Erwerbs­le­ben zu gön­nen. Nichts wäre zyni­scher ange­sichts Hun­dert­tau­sen­der Arbeits­su­chen­der, ange­sichts Zehn­tau­sen­der in eine aus­beu­te­ri­sche Schein­selbst­stän­dig­keit Gezwun­ge­ner oder ange­sichts der Über­for­de­rung von Pfle­ge­kräf­ten, Leh­rer*innen oder Putz­frauen. Es ist übri­gens nicht deren Leis­tung, die sich laut neo­li­be­ra­len Polit­funk­tio­när*innen wie­der loh­nen soll, son­dern die „Arbeit“ jener, die haupt­be­ruf­lich die Not­stands­hilfe kür­zen und Arbeits­lose demü­ti­gen. Dabei müsste in einer halb­wegs fai­ren Gesell­schaft das Geld ja wie ein war­mer Mai­re­gen auf alle her­ab­reg­nen, die uns die Kin­der erzie­hen und die Eltern pfle­gen und die Regale voll­räu­men. Das ist nicht das Plä­doyer für ein Recht auf die Faul­heit für Pri­vi­le­gierte. Die Steu­er­flücht­linge und Schein­rech­nungs­stel­ler*innen – und da sind wir uns einig, oder? – sind es ja, die in unse­rer sozia­len Hän­ge­matte schma­rot­zen.

Das hier ist eine Brand­rede gegen die fahr­läs­sige Ver­schwen­dung von Lebens­zeit – von eige­ner, und noch schlim­mer: von der Lebens­zeit der Mit­men­schen. Wer gerne 60 Wochen­stun­den für ein Unter­neh­men oder eine Idee brennt, ist beneidens-​ und lobens­wert. Wer aber aus­brennt, sind jene, die kei­nen tie­fe­ren Sinn in ihren Auf­ga­ben sehen, oder die sie nicht sinn­voll aus­füh­ren kön­nen. Ein Bur­nout droht jenen, die unter gewal­ti­gem Druck ste­hen, aber nicht von der Stelle dür­fen – in der ana­chro­nis­ti­schen Ben­zin­welt steht der Begriff „Bur­nout“ für die dumme Übung, im Stand den Motor so hoch­zu­ja­gen, dass die Rei­fen ste­hend in Rauch auf­ge­hen. Das Bild eig­net sich zum Ver­gleich.

In die­sem Sinn: Run­ter von der Bremse! Lasst uns hackeln! Ver­aus­ga­ben wir uns! Gibt es Bes­se­res, als sich in eine Auf­gabe zu ver­tie­fen und rundum alles zu ver­ges­sen? Es gibt Mil­lio­nen von euch da drau­ßen, die bes­sere Hun­de­zäune bauen, die küh­nere Berg­tou­ren wagen, die geschei­tere Texte schrei­ben als ich – und Mil­li­ar­den, die mit Freude und Talent pfle­gen, rei­ni­gen, kon­stru­ie­ren, leh­ren. Die­ses ewige Mau­len über die Fau­len, ich mag es nicht mehr hören. Die paar Lum­pis tra­gen wir mit unse­rer Tüch­tig­keit doch locker mit, genauso wie wir mit Stolz alle unter­stüt­zen sol­len, die aus guten und schlech­ten Grün­den nicht hackeln und tschinäul­len kön­nen. Es braucht kei­nen himm­li­schen Vater, der seine Vögel­chen nährt, obwohl sie nicht säen und ern­ten (Par­don, aber hier irrte Jesus übri­gens, denn ohne Tan­nen­hä­her keine Zirbe!). Ich mag nur nicht mehr jene schmerz­be­frei­ten Arbeit­ge­ber mit­tra­gen, die aus kal­tem Effi­zi­enz­den­ken ihre Mit­ar­bei­ter*innen in mona­te­lange Kran­ken­stände trei­ben. Eine düm­mere Ver­geu­dung will mir nicht ein­fal­len.

Wer am Stahl­ko­cher schwitzt, soll wei­ter gut bezahlt wer­den, wer unsere Groß­müt­ter aus dem Bett hebt, sowieso. Und wir Büro-​Ponys soll­ten unsere Lei­den­schaf­ten nicht für Hobby und Pen­sion auf­spa­ren. Ist es nicht eine gewal­tige Ver­schwen­dung, was wir da in der Arbeits­welt anstel­len, die­ses sehn­süch­tige War­ten auf Wochen­ende, Urlaub, Pen­sion? Bis dahin erle­di­gen wir das Auf­ge­tra­gene so, wie man uns frü­her zum Mathe­ma­tik­ler­nen ver­gat­tert hat, indem wir ein Micky-​Maus- ins HÜ-​Heft klem­men und heim­lich lesen, damit die Mama eine Ruh’ gibt. Der Begriff „Bore­out“ ist mitt­ler­weile fast so bekannt wie sein ver­meint­li­ches Gegen­stück „Bur­nout“: Die Betrof­fe­nen über­kommt das beklem­mende Gefühl, schon zu viel Lebens­zeit sinn­los in leere Abläufe inves­tiert zu haben. Starre Kon­strukte zer­mür­ben. Lei­der löst der Trend zum Home Office das Pro­blem auch nicht auto­ma­tisch – vom Ver­schmel­zen von Arbeit und Frei­zeit kann ich lange Lie­der sin­gen.

Wir ver­kau­fen einen schö­nen Teil unse­res Daseins. Ich bin gewiss die Letzte, die eine schnelle Lösung für die Befrei­ung aus Hier­ar­chien und für den Weg aus den Sack­gas­sen der Arbeits­welt parat hat. Aber ein wenig über den eige­nen Zugang nach­zu­den­ken scha­det nie. Etwa, dass wir aus­blen­den, wie viel von allen Sei­ten von uns ver­langt wird. In der Rush Hour des Lebens lau­fen wir Gefahr, uns auf die schlech­teste Art zu ver­aus­ga­ben. Die Kin­der wach­sen im Mai­re­gen in den Him­mel und brau­chen neue Schuhe, und der Mai­re­gen rinnt durch die Dach­luke, und die Eltern haben im bes­ten Fall ein Com­pu­ter­pro­blem, im schlech­tes­ten brau­chen sie eine 24-​Stunden- oder eine Grab­pflege. Uff, aber nur noch drei Wochen bis zum Well­ness­wo­chen­ende, und einen Abend pro Woche nimmt uns der Mann die Kin­der eh ab, damit wir Pila­tes machen kön­nen, damit wir nicht schiach wer­den und sich der Mann eine andere sucht, und damit wir am nächs­ten Tag wie­der schmerz­frei vor dem Com­pu­ter still­sit­zen kön­nen. Wer an sich selbst arbei­tet, kann mehr leis­ten! Und haben wir uns nicht selbst ver­wirk­licht? Das ist auch so ein Irr­tum aus den 1990ern. Mach’ dein Ding, gib’ dein Bes­tes, dann kannst du alles wer­den! Wenn der Erfolg indi­vi­dua­li­siert wird, gilt das natür­lich auch für den Miss­erfolg. Und dass du erschöpft bist, liegt an dir. Ich kenne etli­che Frauen, die sich auf Long Covid unter­su­chen haben las­sen, weil sie immer so müde sind, und weil es nicht sein kann, dass es das Sys­tem ist, das sie erschöpft.

Lasst uns bitte so faul wie nötig sein, in der Muße liegt die Kraft. Aber hören wir auf, uns durch lust­los absol­vier­tes Yoga und Acht­sam­keits­se­mi­nare fit für eine Arbeits­welt zu machen, die es wert ist, unter­zu­ge­hen. Ohne ein Mini­mum an Lei­den­schaft mag ich nicht mehr dahin­le­ben, und ich will, dass andere davon pro­fi­tie­ren (etwa in die­ser klei­nen Brand­rede gegen fiese Arbeits­be­din­gun­gen). Wir müs­sen die Auf­ga­ben, die uns das Leben stellt, viel gerech­ter ver­tei­len. Es ist nicht zu ertra­gen, dass sich in der soge­nann­ten „Drit­ten Welt“ schon die Kin­der krumm schuf­ten müs­sen, nur damit wir beim Hofer Gar­ten­mö­bel zu Schleu­der­prei­sen kau­fen, auf denen wir uns von den Zumu­tun­gen der eige­nen unge­lieb­ten Arbeit zu ent­span­nen ver­su­chen. Es wird eben alles ein biss­chen teu­rer, dafür weni­ger scheiße. Lohn muss mehr als ein Schmer­zens­geld dafür sein, dass wir unse­ren Kör­per 38,5 Stun­den ins Büro set­zen.

Wenn ich in Sachen Lebens­er­war­tung Kind mei­ner Eltern bin, habe ich jetzt noch maxi­mal 30 Jahre, und die mag ich nicht mehr ver­schwen­den. Denn das Leben ist schön und es macht viel Arbeit.

Von Dominika Meindl
(c) Dieter Decker