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Kepler Tribune
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Ausgabe 3/2021
Ein Zitat aus dem Text von Journalist Harald Martenstein.
Kommentar Ausgabe 3/2021

Wider­sprüche, wohin man schaut

Gedan­ken von HARALD MAR­TEN­STEIN, warum wir die Welt gar nicht anders wahr­neh­men kön­nen, als wir es gerade tun. Und warum er trotz allem Opti­mist bleibt.

Von Harald Martenstein
Hintergrund Ausgabe 3/2021

Bitte Wenden

Ver­schmilzt der Pla­net zu einem Plas­tik­klum­pen, klam­mert man sich bes­ser nicht an ein Stroh­halm­ver­bot. Ein Step-​to-Step-Guide zur Selbst-​ und Fremd­ra­di­ka­li­sie­rung.

Von Sara Geisler
Ein Irrweg
Ein unlösbares Rätsel.
Ausgabe 3/2021

Das Glück im Schei­tern

Die Geschichte der Mensch­heit ist eine Geschichte vol­ler Miss­ver­ständ­nisse, eine Geschichte von Schei­tern, Feh­lern und Irr­tü­mern. Oder ist es ganz anders? Ist sie nicht viel eher eine unver­gleich­li­che Erfolgs­ge­schichte? Und das, obwohl wir unser Ende schon von Anfang an ken­nen. Der Ver­such einer Annä­he­rung.

Von Jürgen Schwarz
Im Gespräch Ausgabe 3/2021

Auto­ri­ta­rismus und Mono­lö­sungen

Nach dem Fall des „Eiser­nen Vor­hangs“ vor mehr als drei Jahr­zehn­ten behaup­tete eine Zeit­dia­gnose das „Ende der Geschichte“. Seit­her beob­ach­ten wir das Gegen­teil: Gesell­schaf­ten wan­deln sich rasend schnell. Gegen­wär­tig wird gar eine Mehr­fach­krise dia­gnos­ti­ziert: Klima-​, Migrations-​, Finanz-​, Demokratie-​ und zuletzt auch Gesund­heits­krise. Wenn­gleich Kri­sen­dia­gno­sen und -​therapien vari­ie­ren, steht eines fest: Es ist kom­pli­ziert.

Wie kön­nen Gesell­schaf­ten die Her­aus­for­de­run­gen die­ser Mehr­fach­krise bewäl­ti­gen? Auto­ri­täre Regime rüh­men sich für rasche und durch­schla­gende Maß­nah­men: China bekommt Covid-​19 in den Griff, Ungarn das Flücht­lings­pro­blem, Sin­ga­pur den Kli­ma­wan­del, so deren Selbst­dar­stel­lung. Dem­ge­gen­über ste­hen demo­kra­ti­sche Gesell­schaf­ten in der Kri­tik, zu lang­sam und unent­schlos­sen auf die Her­aus­for­de­run­gen zu reagie­ren.

Diese schein­bare Schwä­che demo­kra­ti­scher Gesell­schaf­ten ist jedoch deren große Stärke: Sie bezie­hen die Inter­es­sen und Werte ganz unter­schied­li­cher Teile der Bevöl­ke­rung mit ein. Die­ses Vor­ge­hen kos­tet viel Zeit und Mühe und endet oft in Kom­pro­mis­sen, keine Frage. Doch es eröff­net nach­hal­ti­gere Ent­wick­lungs­pfade in Rich­tung einer sozi­al­öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­tion. Der auto­ri­täre Ansatz, ein­fa­che Lösun­gen für kom­plexe Pro­bleme anzu­bie­ten, ist eine Schein­lö­sung. Der demo­kra­ti­sche Ansatz sucht nach Lösun­gen, die so kom­plex wie nötig und so ein­fach wie mög­lich sind. Aller­dings ist er vor­aus­set­zungs­reich. Er benö­tigt Akteur*innen, die bereit sind, sich auf den Pro­zess ein­zu­las­sen und auch kom­plexe Ant­wor­ten zu akzep­tie­ren.

Und diese Akteur*innen müs­sen über das nötige Wis­sen ver­fü­gen, um kom­plexe Zusam­men­hänge zu ver­ste­hen. Hier kom­men auch die Sozial-​ und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten ins Spiel. Sie hin­ter­fra­gen und ergän­zen rein wirt­schaft­lich oder tech­no­lo­gisch ori­en­tierte Zugänge. Das Elek­tro­auto allein wird die Kli­ma­krise nicht lösen. Ein Impf­stoff allein wird die Gesund­heits­krise nicht lösen. Die Sozial-​ und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten bet­ten tech­no­lo­gi­sche und wirt­schaft­li­che Maß­nah­men in die Gesamt­heit poli­ti­scher, öko­no­mi­scher, öko­lo­gi­scher, sozia­ler und kul­tu­rel­ler Bezie­hun­gen ein. Auf diese Weise schaf­fen sie jene Res­source, die eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft in der Aus­ein­an­der­set­zung mit der Mehr­fach­krise benö­tigt: Refle­xi­ons­wis­sen. Denn der Weg wird zwar vor­wärts gegan­gen, aber nur rück­wärts ver­stan­den.

Von Uli Meyer, Ernst Langthaler
Eine Doppelhälfte
Eine Dppelhälfte.
Im Gespräch Ausgabe 3/2021

Gedanken zum inter­dis­zi­pli­nären Arbeiten

Vor ein paar Wochen gab mein 20 Jahre alter Geschirr­spü­ler den Geist auf. Bei der Suche nach Ersatz bemerkte ich, wel­che Ent­wick­lun­gen ich in die­sen 20 Jah­ren ver­passt hatte: Wozu genau braucht mein Geschirr­spü­ler WLAN? Um ihn ein­zu­schal­ten, wäh­rend ich ein­kaufe, berg­steige, arbeite? Damit ich das Geräusch nicht höre? Oder kom­mu­ni­ziert er mit mei­nem Kühl­schrank dar­über, dass er die schmut­zige But­ter­dose hat und daher But­ter nach­be­stellt wer­den muss, selbst­ver­ständ­lich erst, nach­dem er beim Tief­küh­ler nach­ge­fragt hat, ob etwa tief­ge­kühlte But­ter drin ist?

Die von der Indus­trie ent­wor­fe­nen schö­nen Bil­der des digi­ta­len Haus­halts ent­zie­hen sich mir. Ich finde hier keine Logik außer die einer Wirt­schaft, die alte Dinge neu erfin­det, ohne eine nach­hal­tige Ver­bes­se­rung zuzu­las­sen.

Die Kli­ma­schutz­de­batte wie­derum wird vor­wie­gend von Nega­tiv­bil­dern bestimmt. Denn die Kli­ma­ka­ta­stro­phe kommt in kom­ple­xen Zusam­men­hän­gen. Der per­sön­li­che Ver­zicht aufs Auto soll einen zu hei­ßen Som­mer, eine Über­schwem­mung oder einen Tor­nado ver­hin­dern?

Kom­pli­ziert ist ein Uhr­werk, das mit­hilfe des Wech­selns des rich­ti­gen Teils und mit der rich­ti­gen Exper­tise repa­riert wer­den kann. Kom­plex wie­derum ist etwa der Zusam­men­hang zwi­schen der Toi­let­ten­pa­pier­knapp­heit beim ers­ten Lock­down und der Fle­der­maus in Wuhan.

Kom­plexe Pro­bleme haben keine ein­deu­ti­gen Lösun­gen. Inter­dis­zi­pli­näre Metho­den, d.h. ver­netz­tes Den­ken, in Bezie­hung sein, das Ver­ste­hen, Hin­ter­fra­gen und Ver­mit­teln unter­schied­li­cher Wis­sens­for­men und die Fähig­keit zur Her­stel­lung alter­na­ti­ver Rea­li­tä­ten ermög­li­chen uns, hand­lungs­fä­hig zu sein. Das soge­nannte Inge­nieurs­den­ken „Pro­blem A mit Lösung B“ ist in unse­rer kom­ple­xen Welt nicht mehr zeit­ge­mäß. Per­sön­lich erlebe ich, wie ver­mehrt der Ver­such gemacht wird, ins Gespräch zu kom­men und wie das inter­dis­zi­pli­näre Auf­ein­an­der­zu­ge­hen Raum erhält. Das Gespräch, der kon­struk­tive Mehr­wert von Miss­ver­ständ­nis­sen und von Viel­stim­mig­keit sind Grund­be­din­gun­gen sowohl der inter-​ und trans­dis­zi­pli­nä­ren Arbeit als auch der Demo­kra­tie­ar­beit. Und diese Art des Den­kens und Han­delns ist im bes­ten Sinn auf­re­gen­der als ein­di­men­sio­nale Erzähl­stränge.

Von Christine Böhler
Wissen Ausgabe 3/2021

#taxmenow

Wie ändert man ein gan­zes Wirt­schafts­sys­tem und das Ver­hal­ten sei­ner Akteur*innen? Ein Blick in die Geschichte hilft und den­noch gab es noch nie die Her­aus­for­de­rung, ein glo­ba­les Pro­blem zu lösen, gleich­zei­tig natio­nal zu agie­ren und dabei den sozia­len Zusam­men­halt nicht aus den Fugen gera­ten zu las­sen.

Von Bernhard Ecker
Ein Kuchenstück.
Ein Plastiknetz.
Wissen, Visionen Ausgabe 3/2021

Raus aus diesem Wirr­warr

Plas­tik ist über­all – lei­der auch dort, wo wir es nicht haben wol­len. Die Wis­sen­schaft will mit neuen Ansät­zen Kunst­stoffe nun völ­lig neu den­ken und damit hel­fen, die Plas­tik­plage in den Griff zu bekom­men. Dafür wer­den die Kräfte gebün­delt – auch an der JKU.

Von Martin Steinmüller-Schwarz
Campus Ausgabe 3/2021

Mit offenem Blick

Kaum ein For­schungs­be­reich ent­wi­ckelt sich so dyna­misch wie die Medi­zin. Digi­ta­li­sie­rung, tech­no­lo­gi­scher Fort­schritt sowie andere Lebens­ge­wohn­hei­ten haben die Ansprü­che mas­siv geän­dert. In Linz wurde an der JKU jetzt ein neuer Medi­zi­ni­scher Cam­pus gebaut – er steht für eben­diese Ver­än­de­rung und auch für die große Frage: Wor­auf wird es in der Zukunft der Medi­zin ankom­men?

Von Ruth Eisenreich
Der neue Medizinische Campus der JKU.
Der neue Medizinische Campus der JKU.
Campus Ausgabe 3/2021

Abseits vom Elfen­bein­turm

Seit zwei Jah­ren wird an ihm gebaut, jetzt ist der neue MED Cam­pus I direkt neben dem Kep­ler Kli­ni­kum fast fer­tig – und bereit, in sei­nen Räu­men ganz neue Schwer­punkte der medi­zi­ni­schen For­schung zu set­zen. Im Mit­tel­punkt steht dabei vor allem eine große Her­aus­for­de­rung: Wie kommt das, wor­über hier nach­ge­dacht wird, punkt­ge­nau beim Pati­en­ten an?

Von Markus Rohrhofer
Wissen Ausgabe 3/2021

Die Parallel-​gesellschaft in uns

In unse­rem Darm tra­gen wir ebenso viele Keime, wie wir Zel­len im Kör­per haben. Das wirkt sich nicht nur auf unser Immun­sys­tem aus, son­dern beein­flusst auch, wie wir den­ken und füh­len. Warum das so ist und was er noch alles kann, unter­sucht die For­schung – mit fas­zi­nie­ren­den Ergeb­nis­sen.

Von Marlene Erhart
Ein menschlicher Darm.
Das Ars Electronica Festival.
Hintergrund Ausgabe 3/2021

Was für eine saudumme Frage

Wenn sich Wis­sen­schaft und Kunst begeg­nen, herrscht nicht sel­ten erst mal Rat­lo­sig­keit. Was haben diese bei­den Dis­zi­pli­nen mit­ein­an­der zu tun? Das Ars Elec­tro­nica Fes­ti­val auf dem JKU Cam­pus zeigt genau das ziem­lich ein­drucks­voll.

Von Peter Grubmüller
Kunststücke Ausgabe 3/2021

„Die jungen Leute schauen nicht mehr zu“

Vor acht Jah­ren sprach Oli­ver Wel­ter, den man als Kopf der weg­wei­sen­den öster­rei­chi­schen Band „Naked Lunch“ kennt, in einem Inter­view noch davon, bezüg­lich der Gesamt­si­tua­tion nicht beson­ders opti­mis­tisch zu sein. Auch wenn Wel­ter als gelern­ter Pes­si­mist mit vie­lem, was er in der Gesell­schaft beob­ach­tet, hadert, hat sich sein Blick auf die Zukunft doch dras­tisch geän­dert. Die junge Genera­tion und vor allem die akti­vis­ti­schen Frauen geben ihm Hoff­nung. Ihnen traut er zu, das Ruder in Kli­ma­belan­gen noch ein­mal her­um­zu­rei­ßen. Wel­ter, der bei der Eröff­nung des Ars Elec­tro­nica Fes­ti­vals am 8. Sep­tem­ber am JKU Cam­pus mit der Pia­nis­tin Clara Früh­stück Schu­berts „Win­ter­reise“ neu inter­pre­tie­ren wird, über große Visio­nen, unbe­lehr­bare Män­ner und den Wunsch von einem Zusam­men­le­ben im Sinne des Huma­nis­mus.

Von Amira Ben Saoud
Naked-Lunch-Frontman Oliver Welter.
JKU Lehrstuhlinhaberin Maren Engelhardt.
Visionen Ausgabe 3/2021

Somnium - Der Traum von Wissen­schaft

Tur­ri­t­op­sis dohr­nii – so geht kein Zau­ber­spruch aus einem Harry-​Potter-Film, nein, eigent­lich ist es etwas noch viel Magi­sche­res. So heißt näm­lich das ein­zige Tier, das als unsterb­lich gilt. Eine kleine, etwa fünf Mil­li­me­ter große Qualle aus dem Mit­tel­meer, eigent­lich unschein­bar, aber eben dann doch nicht: Weil kurz bevor sie an Alters­schwä­che stirbt, sinkt sie auf den Mee­res­bo­den und ver­setzt dort ihre Zel­len wie­der in das Anfangs­sta­dium. Kurz vor dem Ende beginnt es also wie­der von neuem.

Immer wie­der auf Neues trifft auch Maren Engel­hardt, Lehr­stuhl­in­ha­be­rin für Ana­to­mie und Zell­bio­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Fakul­tät der JKU, in ihren For­schun­gen. Dabei beschäf­tigt sie sich am liebs­ten mit den Ner­ven­zel­len des mensch­li­chen Gehirns. „Die Unsterb­lich­keit wird für unsere Spe­zies wohl nur ein Traum blei­ben“, sagt sie. Und das, obwohl sich die durch­schnitt­li­che Lebens­er­war­tung eines Men­schen seit Anfang des 19. Jahr­hun­derts ver­dop­pelt hat. Der berühmte tsche­chi­sche Schrift­stel­ler Milan Kun­dera schrieb dazu vor eini­gen Jah­ren: „Das Ein­zige, was uns ange­sichts die­ser unaus­weich­li­chen Nie­der­lage, die man Leben nennt, bleibt, ist der Ver­such, es zu ver­ste­hen.“

Auch Maren Engel­hardt glaubt nicht, dass sich das mensch­li­che Leben unend­lich aus­deh­nen lässt – trotz aller Errun­gen­schaf­ten der For­schung. Aber klar ist, wir wer­den älter wer­den, ekla­tant älter sogar. Expert*innen glau­ben, dass die Zahl der über Hun­dert­jäh­ri­gen im Jahr 2050 fünf­zehn­mal so hoch ist wie jetzt. Engel­hardt fin­det, dass gerade die End­lich­keit des Lebens etwas ist, das das Leben lebens­wert macht. „Ist unend­lich alt wer­den zu kön­nen wirk­lich ein Traum oder nicht eher ein Alb­traum?“, fragt sie.

Und am Ende ist das Leben ähn­lich wie die Wis­sen­schaft: Man erlebt Nie­der­la­gen, ver­sucht, das Große ins Kleine zu zer­le­gen, ver­läuft sich, kehrt zurück und formt sich neu. Dabei kom­men wir immer wei­ter voran, weil wir dazu­ler­nen, bes­ser wer­den, vie­les bes­ser ver­ste­hen. Und ganz zum Schluss ster­ben wir. Zumin­dest wir Men­schen. Die Tur­ri­t­op­sis dohr­nii nicht – die sinkt zu Boden und fängt noch ein­mal von vorne an.

Die Wis­sen­schaft, dar­über kann es keine zwei Mei­nun­gen geben, ist eine auf­re­gende Sache. In jeder Aus­gabe wid­men wir ihr des­halb die letz­ten Zei­len. Die­ses Mal Maren Engel­hardt, Lehr­stuhl­in­ha­be­rin für Ana­to­mie und Zell­bio­lo­gie der JKU, über (Alb-)Träume.

Kepler Salon Ausgabe 3/2021

Konzen­triere Dich!

Inmit­ten die­ser Som­mer­tage fällt es mir gar nicht leicht, mich auf ein Thema für die­sen Text zu fokus­sie­ren. Meh­rere The­men brin­gen sich ins Spiel, die ich im nächs­ten Moment als irrele­vant oder wenig trag­fä­hig ver­werfe. Wenn es nichts zu sagen gibt, soll es doch ein Leich­tes sein, sich dem Schwei­gen hin­zu­ge­ben, denke ich mir. Wie sehr wün­sche ich mir tag­täg­lich, dass die vie­len selbst­er­mäch­tig­ten Exper­tin­nen und Exper­ten still­hal­ten, die von der Wohn­zim­mer­couch aus nicht nur Fuß­ball­teams trai­nie­ren, son­dern ein Impf­ex­pert*innen­tum an den Tag legen, das mit vie­len Mei­nun­gen und noch mehr Ver­schwö­rungs­theo­rien gewa­schen ist. Der Unter­schied zwi­schen Mei­nung und Wis­sen ist so wenig bekannt wie der zwi­schen Klima und Wet­ter, glaube ich. Es geht aber nicht um Glau­ben, son­dern um Wis­sen. Das Blatt ist leer, die Gestal­tung von unse­rem geschätz­ten Gra­fi­ker Erwin Franz längst in Form gebracht, die nur mehr mit Inhalt gefüllt wer­den will. Der Druck eines Redak­ti­ons­schlus­ses wirkt meist beru­hi­gend auf mich, da ich weiß, bis dahin ist es geschafft, da es danach zu spät wäre. Leere Sei­ten brau­chen nicht gedruckt zu wer­den. Man braucht die­ser Logik nur zu fol­gen, dann kann Druck zum Sog wer­den, wenn man sich hin­setzt und zu schrei­ben beginnt. Der Kom­po­nist Bal­duin Sul­zer sagte: „Wenn eine Muse kommt, ver­jage ich sie sofort. Sie hält mich nur vom Arbei­ten ab.“ Die ein­zig sinn­volle Inspi­ra­tion sei ein Auf­füh­rungs­ter­min. Musi­ke­rin­nen und Musi­ker, die seine Stü­cke urauf­ge­führt haben, wis­sen, wovon ich schreibe. Die Tinte war oft noch nicht tro­cken und die Zeit zum Üben knapp. „Kon­zen­triere dich end­lich auf eine Sache!“, ist eine Ansage, die ich in jun­gen Jah­ren zu hören bekam. Ich wusste aber schon damals, dass ich am auf­merk­sams­ten bin, wenn meh­rere Dinge syn­chron lau­fen. Die ein­zige Vor­aus­set­zung ist, dass die Dinge mich inter­es­sie­ren, etwas ange­hen. Jede, jeder ist anders ver­an­lagt, da muss man (meist) selbst drauf­kom­men, auch wenn es bis heute nicht nor­mal scheint, ein viel­fäl­ti­ges beruf­li­ches Dasein zu leben, ohne der Ober­fläch­lich­keit ver­däch­tigt zu wer­den. „Ich kon­zen­triere mich auf alles!“, hat Heinz Hol­li­ger – ange­spro­chen auf seine Viel­kön­ner­schaft – reagiert. Der 82-​jährige Musi­k­uni­ver­sa­list ist als Obo­ist, Kom­po­nist, Diri­gent, Pia­nist oder als Leh­rer auf der gan­zen Welt höchst wirk­sam zu erle­ben. Frei­lich kreist er in einem vor allem klin­gen­den Kos­mos (meine eigene Grund­ver­an­la­gung in die­sem Feld kann ich auch in die­sem Text nicht ver­schwei­gen), aber die Meis­ter­schaft, die er in so vie­len klin­gen­den Aggre­gat­zu­stän­den hör­bar macht, ist von genia­li­scher Ein­zig­ar­tig­keit. Warum mich die­ser Satz berührt, ist, weil er die Kon­zen­tra­tion in den Mit­tel­punkt rückt, eine Fähig­keit, die er mit sei­nen vie­len ent­wi­ckel­ten Talen­ten offen­sicht­lich auf alles, was ihn angeht, anzu­wen­den ver­mag. Kon­zen­tra­tion ist eine wil­lent­li­che Fokus­sie­rung auf Bestimm­tes, um eine Auf­gabe zu lösen, um etwas zu errei­chen. Zumin­dest die Erwach­se­nen brau­chen offen­sicht­lich immer einen Nut­zen. Wenn wir Kin­der beim Spie­len beob­ach­ten, ver­fol­gen diese nicht unbe­dingt einen. „Was habt ihr heute im Kin­der­gar­ten gemacht?“, fragte ich ver­gan­ge­nen Tages meine Toch­ter. „Gespielt haben wir!“, ant­wor­tete sie mit ver­wun­der­ter Selbst­ver­ständ­lich­keit. „Was habt ihr gespielt?“, fragte ich wei­ter. „Ein­fach gespielt!“, sagte sie. Da hat sie mich Erwach­se­nen ertappt, sofort nach dem Nut­zen und Zweck zu fra­gen. Kin­der nen­nen die Dinge beim Namen, nicht beim Nut­zen. Wer spielt, spielt ein­fach. Mehr geht nicht, mehr braucht es nicht. Kin­der haben das Ver­mö­gen, sich erfül­len, von den Mög­lich­kei­ten anspre­chen zu las­sen, ohne per se ein Ziel vor Augen zu haben oder auf eine Lösung abzie­len zu müs­sen. Es ist ein unge­heuer wert­vol­les, mensch­li­ches Grund­ver­mö­gen, das in jeder, in jedem von uns ange­legt ist. Es heißt, den Schwer­punkt in sich zu fin­den. Immer öfter beob­achte ich Erwach­sene, die ihren Klein­kin­dern ihre Smart­pho­nes unter die Nase hal­ten. Mir brennt dabei das Herz, weil damit die mensch­li­che Sou­ve­rä­ni­tät, sich mit sich selbst zu beschäf­ti­gen, aufs Spiel gesetzt wird. Zwei­jäh­rige sit­zen auf ihren Hoch­stüh­len und star­ren wie betäubt auf die klei­nen Bild­schirme. Ihre Eltern haben ihnen die­ses Nar­ko­ti­kum ver­ab­reicht, um in Ruhe gelas­sen zu wer­den. Ich weiß von mei­nen eige­nen Töch­tern, wie ange­zo­gen sie von die­sen Gerät­schaf­ten sind und mit wel­cher leicht­hän­di­gen Selbst­ver­ständ­lich­keit sie damit umge­hen. Doch letzt­lich ist dies in die­ser Absicht eine Frei­heits­be­rau­bung, die sie um die Mög­lich­keit des Spie­lens bringt. Der Spiel­raum ist jener Ort, in dem wir die Welt erfah­ren, wo Fan­ta­sie sich zu ent­fal­ten beginnt, wo das Stau­nen zu Hause ist. Es ist der Ort, wo man Lan­ge­weile aus­zu­hal­ten beginnt, um in Eigen­be­we­gung zu gera­ten. Wir müs­sen diese Räume für uns Men­schen unter Natur­schutz stel­len, denn dort erfah­ren wir, dass die Mög­lich­kei­ten in uns lie­gen, die wir spä­ter im „Ernst­fall“ ein­mal brau­chen, um Her­aus­for­de­run­gen und ande­ren Pro­blem­stel­lun­gen begeg­nen zu kön­nen. Der Ernst des Lebens – wenn es ihn denn wirk­lich gibt – beginnt nicht erst mit dem Ein­tritt in die Schule, son­dern mit der Geburt. Der Ernst der Kin­der beim Spie­len ist ein erns­ter, der nicht genug ernst zu neh­men ist. Die­ser Ernst zielt nicht in ers­ter Linie auf Unter­hal­tung ab. Spie­len heißt, die Welt und ihre Mög­lich­kei­ten zu erobern. Da geht es nicht um ein Warum, nicht um ein Was oder Wie. Zu fra­gen, was habt ihr heute gespielt, ist, wie danach zu fra­gen, was hast du heute geat­met? Spie­len gehört zur Grund­ein­stel­lung des Men­schen. Wir kom­men alle spiel­be­reit auf die Welt, erobern uns diese spie­le­risch, indem wir Dinge mit den noch zu kur­zen Armen in Bewe­gung set­zen. Etwas spä­ter zie­hen wir uns den Stuhl heran, meist nicht, um auf die heiße Herd­platte zu grei­fen. Wir öff­nen Küchen­käs­ten, zie­hen die Töpfe her­aus, bauen Bur­gen im Sand, spie­len Ver­kau­fen mit ima­gi­nä­ren und rea­len Freun­din­nen und Freun­den oder lesen laut Bücher vor, obwohl wir noch lange gar nicht lesen kön­nen. Fürs Erzäh­len eige­ner Geschich­ten reicht das beob­ach­tete Ritual, in einem Buch zu blät­tern. Spie­len ist keine Frage des Kön­nens, son­dern des Tuns. Es ist Zustand, Tätig­keit und eine Art von Ener­gie. In die­sem Ener­gie­feld ist man ganz bei und mit sich, ist von sich und den Mög­lich­kei­ten und Unmög­lich­kei­ten erfüllt, die man in sich hat, um dann die zu ergrei­fen, die einen umge­ben. Wobei diese alles andere als offen­sicht­lich oder sicht­bar sein müs­sen. Sich mit etwas zu beschäf­ti­gen, sich von etwas erfül­len zu las­sen. Das kann alles sein. Das ist der Ernst des Lebens, der uns ange­bo­ren ist. Mit der Zur­ver­fü­gung­stel­lung eines klei­nen Bild­schirms wird der innere Schwer­punkt ins Außen gelenkt. Es ist eine Ablen­kung, die noch dazu ohne eige­nes Zutun unter­hält. Es ist eine sehr teure Unter­hal­tung, die wir uns da leis­ten, denn sie geht auf Kos­ten eines grund­le­gen­den Ver­mö­gens unse­rer Kin­der. Die Fähig­keit, mit sich zu sein und vie­les in sich zu fin­den, um mit der Welt in Dia­log zu gehen. Es ist unfass­bar, was damit leicht­fer­tig, ver­mut­lich höchst unbe­wusst ange­rich­tet wird, wenn diese Mög­lich­kei­ten an elek­tro­ni­sche Geräte abge­ge­ben wer­den. Die Welt braucht diese Mög­lich­kei­ten mehr denn je, und wir Men­schen erst recht.

Im Kep­ler Salon erwar­ten Sie im vier­ten Quar­tal „sin­gende Mäuse und quiet­schende Ele­fan­ten“ oder die Frage, wie wir die Ener­gie­wende schaf­fen kön­nen. Chris­tine Hai­den bringt mit „Drei Bücher klü­ger“ ein neues For­mat in den Kep­ler Salon: Drei Gäste stel­len je ein Buch vor, das sie in jüngs­ter Zeit klü­ger gemacht hat. Sie kön­nen mit dem Inhalt über­ein­stim­men oder ihn gänz­lich ableh­nen, jeden­falls hat er sie aber ange­regt, über etwas nach­zu­den­ken. Und neben vie­len ande­rem, auf das es sich zu kon­zen­trie­ren lohnt, wol­len wir den 450. Geburts­tag von Johan­nes Kep­ler fei­ern. Unser Namens­pa­tron und pro­mi­nen­ter Vor­mie­ter in der Rat­haus­gasse 5 fei­ert am 27. Dezem­ber sei­nen 450. Geburts­tag, daher wol­len wir ihm alle Mon­tag­abende im Dezem­ber wid­men, nicht aber vor­ran­gig in dem Sinne, ihm und sei­nem Werk unmit­tel­bar auf der Spur zu sein, son­dern vor allem wie wir als Men­schen des 21. Jahr­hun­derts mit sei­nem Leben, Wis­sen und sei­ner Hal­tung in Reso­nanz gehen.

Von Norbert Tragwöger
Ein Bild von Zoe Goldstein.
Ein Bild von Zoe Goldstein.
Kepler Salon Ausgabe 3/2021

Die Schatten der Vergan­gen­heit belichten

Big Band-​Signation. Die Umge­bung anfangs noch unscharf. Ein älte­rer Herr. Mit dem nächs­ten Schnitt dann deut­li­cher sein musik­be­glei­te­ter Auf­tritt über eine kleine Gar­ten­brü­cke. Ein Film­star? Die Bil­der sind wohl­über­legt zusam­men­ge­fügt. Som­mer­an­zug, Kra­watte, die Pfeife läs­sig und doch straff im rech­ten Mund­win­kel. Man wähnt sich im Vor­spann eines Samstagnachmittags-​Films, wäre da nicht die Blende mit dem Wort­laut „Frost on Fri­day“. Der bri­ti­sche Jour­na­list und Fern­seh­mo­de­ra­tor David Frost mode­riert: „Bal­dur von Schi­rach, foun­der mem­ber of the inner court of Adolf Hit­ler is alive and well […].“ Zur wei­te­ren Beschrei­bung als „lea­der of the Hit­ler Youth“ die Bil­der eines zar­ten Griffs von Män­ner­hand in fri­sches Blät­ter­werk. Ein Kind und ein Hund in der Szene; Lächeln im Gentleman-​Gesicht, Abgang mit dem Kind an der Hand. Som­mer­in­sze­nie­rung. Der liebe Junge könnte einer der Enkel­söhne Bal­dur von Schirachs sein, viel­leicht der jün­gere von den bei­den? Das wäre dann der 1964 gebo­rene Fer­di­nand von Schi­rach, der spä­tere Autor von Titeln wie „Ver­bre­chen“, „Schuld“, „Tabu“, „Strafe“.

1966 nach 20-​jähriger Haft aus dem Kriegs­ver­bre­cher­ge­fäng­nis Span­dau ent­las­sen, gab Bal­dur von Schi­rach, ehe­mals „Reichs­ju­gend­füh­rer“ sowie „Gau­lei­ter“ und „Reichs­statt­hal­ter“ von Wien, im Sep­tem­ber 1968 ein gro­ßes TV-​Interview. Dies zu sehen, ist befremd­lich; weich, fast sin­gend die ers­ten Worte Schirachs zu Adolf Hit­ler: „I met him in the opera.“ Von Schärfe sein Blick, manch­mal ein Lächeln um die schma­len Lip­pen. Die Erin­ne­rung an Hit­lers „cer­tain shy­ness“ holt immer noch einen Glanz in die viel­wis­sen­den Augen, die Herrn Frost beteu­ern wol­len, von der Depor­ta­tion der Wie­ner Juden nichts gewusst zu haben. Gestand Schi­rach bei den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen noch geschickt seine Schuld, so machte er hier dem Inter­viewer weiß, vie­les von der Kata­stro­phe des 20. Jahr­hun­derts eben nicht gewusst zu haben. Dass Frost Schirachs Schmei­cheln ver­fällt, erschließt sich über das 40-​minütige Inter­view, wel­ches auf You­Tube nach­zu­se­hen ist.

Seit Februar 2021 führt der Kep­ler Salon eine Reihe unter dem Titel „Wag­ners Dun­kel­kam­mer“. Es ist letzt­lich nicht meine „Dun­kel­kam­mer“, die an die Ober­flä­che brin­gen soll, was bis dato nicht gese­hen, nicht bekannt, nicht gewusst oder zu wenig gese­hen, zu wenig bekannt und zu wenig gewusst war und ist. Es ist die „Dun­kel­kam­mer“ mei­ner Gäste, denn sie stel­len neu­este For­schungs­er­geb­nisse dar oder schär­fen die Kon­tu­ren vor­han­de­ner Bil­der nach. Mit sei­nen Erkennt­nis­sen zu Bal­dur von Schi­rach war der His­to­ri­ker Oli­ver Rath­kolb (Wien) unter dem Titel „Schi­rach. Eine Genera­tion zwi­schen Goe­the und Hit­ler“ der erste Gast der „Dun­kel­kam­mer“. In den Vor­be­rei­tun­gen für diese Ver­an­stal­tung sah ich David Frosts Inter­view. In meh­re­ren Anläu­fen, denn die Erschei­nung die­ses Herrn mit den nivel­lie­ren­den Erzäh­lun­gen zur Ver­bre­chens­ge­schichte der Nazis rüt­telte in mir immer wie­der den Impuls auf, den YouTube-​Kanal sofort aus­zu­schal­ten. „Neu“ ist die­ses Inter­view nicht, doch so wie Rath­kolb meint, ist es ein „Schlüs­sel­do­ku­ment“ zu einem der füh­ren­den Köpfe der Nazi-​Eliten. Es lässt sich an die­ser Selbst­in­sze­nie­rung sehen, wie flüch­tig man die größ­ten Ver­bre­chen des 20. Jahr­hun­derts abtun kann, indem man adres­siert, dass nie­mand von uns unfehl­bar sei und wir alle „nur“ Men­schen seien. Dies wirft uns auf uns sel­ber zurück und lässt uns in den eige­nen Unzu­läng­lich­kei­ten hän­gen blei­ben. Oder auch nicht. Ein plat­ter Trick des Herrn Schi­rach.

Nicht als eine Per­son der ver­ur­teil­ten Täter­ebene wurde der Kom­po­nist Johann Nepo­muk David in der mit „Brenn­punkt Leip­zig“ bezeich­ne­ten zwei­ten „Dun­kel­kam­mer“ dis­ku­tiert, son­dern als Kul­tur­re­prä­sen­tant im NS-​Staat, des­sen Nähe und Distanz zum Regime dif­fe­ren­ziert aus­ge­lo­tet wer­den sollte. Ober­ös­ter­reich zeigt sich stolz auf den in Efer­ding gebo­re­nen Kom­po­nis­ten – zu Recht, mit Blick auf des­sen umfang­rei­ches Wir­ken und Schaf­fen. Davids Zeit in Leip­zig wird jedoch gerade in Ober­ös­ter­reich immer wie­der aus­ge­klam­mert, nur pro forma dis­ku­tiert oder pau­schal abge­ar­bei­tet. Dies scha­det mehr, als es nützt – sowohl dem Kom­po­nis­ten als auch der Musik­ge­schichts­schrei­bung. Von 1934 bis 1945 wirkte Johann Nepo­muk David als Leh­rer am Lan­des­kon­ser­va­to­rium in Leip­zig, das 1941 zur „Staat­li­chen Hoch­schule für Musik, Musik­erzie­hung und dar­stel­lende Kunst“ erho­ben wurde. 1942 über­nahm er dort die „kom­mis­sa­ri­sche Direk­tion“ und somit die Lei­tung einer kul­tur­bil­den­den Insti­tu­tion im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land. Der Musik­wis­sen­schaf­ter Albrecht Düm­ling (Ber­lin), die Musik­wis­sen­schaf­te­rin Maren Goltz (Leip­zig) und Mat­thias Wam­ser (Basel) als Ver­tre­ter der Inter­na­tio­na­len Johann-​Nepomuk-David-Gesellschaft mach­ten die „David-​Dunkelkammer“ zur Infor­ma­ti­ons­quelle ers­ten Ran­ges. Gro­ßes Inter­esse kam Davids Kom­po­si­tion „Hel­de­n­eh­rung, Motette nach einem Füh­rer­wort“ für vier­stim­mig gemisch­ten Chor und drei Posau­nen aus 1942 zu. Das Stück ist den gefal­le­nen Leh­ren­den und Stu­die­ren­den der Staat­li­chen Musik­hoch­schule zum Gedächt­nis gewid­met und wurde 1942 in der pseu­do­sa­kra­len Krypta des Völ­ker­schlacht­denk­mals in Leip­zig urauf­ge­führt. Das Auto­graph der „Hel­de­n­eh­rung“ liegt in einem Pri­vat­ar­chiv in Stutt­gart und ist der For­schung lei­der nicht zugäng­lich. Allein die Zei­tungs­be­richt­erstat­tung zur Urauf­füh­rung lässt Rück­schlüsse auf die Mach­art die­ser affir­ma­ti­ven Musik zu.

Inwie­weit pri­vate Zufalls­funde und der For­schung zugäng­lich gemachte Quel­len­stü­cke das Ent­ste­hen einer Bio­gra­phie for­cie­ren, zeigt sich an einem Bün­del von 31 Brie­fen, wel­che über hun­dert Jahre lang unent­deckt auf einem Dach­bo­den lagen. Die Briefe und der erste Teil der hand­schrift­li­chen Urfas­sung der Erin­ne­run­gen August Kubi­zeks an des­sen Jugend­freund Adolf Hit­ler ver­an­lass­ten den His­to­ri­ker Roman Sand­gru­ber (JKU Linz) zum Ver­fas­sen einer Bio­gra­phie zum k. k. Zoll­amts­ober­of­fi­zial Alois Hit­ler, den Urhe­ber die­ser an den Stra­ßen­meis­ter Josef Rad­leg­ger gerich­te­ten Briefe. Pri­mär geht es in den Kor­re­spon­den­zen um den Kauf eines Anwe­sens für die Fami­lie Hit­ler, die Zei­len ent­hül­len jedoch auch bis dato unbe­kannte Details zur Geschichte von Adolf Hit­lers Her­kunfts­fa­mi­lie. Die Ent­de­ckung der Kubizek-​Frühfassung ist ein Wurf, sie stellt eine bedeu­tende Linie zur Rekon­struk­tion der Lin­zer Zeit des Dik­ta­tors dar. „Hit­lers Vater. Wie der Sohn zum Dik­ta­tor wurde“ titelte die dritte „Dun­kel­kam­mer“. Aus­ge­hend von Alois Hit­ler rollte Sand­gru­ber die Vater-​Sohn-Beziehung und das Her­an­wach­sen jenes Men­schen auf, über den ein smar­ter Herr 1968 lächelnd meinte, er wäre ein wenig schüch­tern gewe­sen. Dass diese Per­son für den Tod von Zig­mil­lio­nen Men­schen ver­ant­wort­lich ist, hat die­ses Lächeln absor­biert.

„Wag­ners Dun­kel­kam­mer“ wird auch in Zukunft bewe­gen. Ihre Gren­zen wer­den erkenn­bar, wenn die her­vor­ge­hol­ten Fak­ten begin­nen, sich im Kreis zu dre­hen, und Fra­gen nach ethi­schen Ein­schät­zun­gen dring­lich wer­den. So wäre doch der „Dun­kel­kam­mer“ gut­ge­tan, jenen Kna­ben als Seis­mo­gra­phen unse­rer Zeit mit einem die Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart ver­schrän­ken­den Blick ein­zu­la­den, der 1968 an der Hand sei­nes ele­gan­ten Groß­va­ters an einem Som­mer­nach­mit­tag in ein Haus ging. Sofern dies wirk­lich der junge Fer­di­nand von Schi­rach war. Der Jurist und Schrift­stel­ler blitzt in mei­nem Kopf als Wunsch­gast auf. Mit ihm würde ich gerne eine Meta­ebene frei­le­gen zur Dis­kus­sion, wie denn in der „Dun­kel­kam­mer“ ent­lang all die­ser Fra­gen über­haupt zu dis­ku­tie­ren sei. Ein Dis­kurs mit Fer­di­nand von Schi­rach über den Dis­kurs zur Ver­gan­gen­heit. Ein mög­li­cher Aus­blick.

Von Karin Wagner