Neue Gesichter finden sich an einigen Instituten der SOWI-Fakultät. Einer der Neo-JKU-Professoren: Julian Reiss.
Julian Reiss ist Wissenschaftsphilosoph an der JKU. Warum wir solche Menschen brauchen, was er eigentlich macht und in welcher Fernsehsendung er bis ins Finale gekommen ist, erzählt er im Interview.
In welchem Bereich forschen Sie?
Julian Reiss: Ich bin Wissenschaftsphilosoph und interessiere mich besonders für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie für die Medizin. Ein Wissenschaftsphilosoph stellt sehr grundsätzliche Fragen zu Wissenschaft und wissenschaftlichem Arbeiten. Hier sind ein paar Beispiele: Was sind die Grenzen wissenschaftlichen Wissens im Allgemeinen und naturwissenschaftlichen Wissens im Speziellen? Was können wir aus wissenschaftlichen Experimenten lernen und welche Arten von Experiment sind verlässlich? Wie muss Wissenschaft organisiert sein, damit sie vertrauenswürdig ist? Was ist wissenschaftliche Objektivität? Ist die Wissenschaftsgeschichte ein ‘Friedhof widerlegter Theorien’ und wenn ja, bedeutet das, dass heutige Theorien wahrscheinlich auch falsch sind?
Was begeistert Sie an diesem Bereich?
Julian Reiss: Ich habe ursprünglich an der Universität St. Gallen Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzen und Kapitalmärkte studiert. Die Wirtschaftswissenschaften werfen unzählige philosophische — insbesondere ethische und erkenntnistheoretische — Fragen auf, die ich damals zumindest verschwommen gesehen habe, die aber innerhalb der zeitgenössischen Wirtschaftswissenschaften nicht diskutiert werden. Ich wollte mich schon damals nicht mit Antworten auf Fragen, die rein ökonomischer Natur sind, zufriedengegeben. So habe ich mich an der London School of Economics in Philosophie eingeschrieben, um im Rahmen einer Doktorarbeit über solche Fragen nachdenken zu können. Letzten Endes ist die Einsicht, dass Fragen von gesellschaftlicher Bedeutung nur interdisziplinär beantworten lassen — man braucht eben ein bisschen Ökonomie, ein bisschen Soziologie, ein bisschen Politikwissenschaften, ein bisschen Geschichte, ein bisschen Ethik, ein bisschen Logik der Forschung usw. — das, was mich noch heute motiviert und antreibt.
Wofür ist diese Forschung überhaupt notwendig bzw. wie verbessert sie unser Leben?
Julian Reiss: Wir brauchten nicht die Corona-Krise, um zu erkennen, dass Wissenschaft heute einen enormen Einfluss auf Politik und Gesellschaft hat. Diese Machtfülle wirft viele Fragen im Zusammenhang mit der Rolle der Wissenschaft in und für die Gesellschaft auf, z.B. zur Bedeutung wissenschaftlicher Expertise für die Politik. Wissenschaftsphilosophen können hier einen echten Beitrag leisten, diese Rolle nicht nur zu verstehen, sondern auch im Lichte wichtiger gesellschaftlicher Werturteile zu modifizieren und zu verbessern.
Warum sind Sie an die JKU gekommen bzw. was macht die JKU besonders?
Julian Reiss: Die JKU bietet ein hervorragendes Arbeitsumfeld, in dem sowohl Forschung als auch Lehre gedeihen können. Insbesondere die Forschungsunterstützung ist exzellent. Zudem bietet die JKU mit ihrem Standort in Oberösterreich und die zahlreichen Verbindungen in die Industrie ein ideales Umfeld für praxisnahe Wissenschaft.
Warum sollten sich Studierende Sie als Lehrenden wünschen?
Julian Reiss: Da gibt es viele Gründe: stark forschungsgeleitete Lehre, mein internationaler Hintergrund und Vernetzung, passionierter und unterhaltsamer Vortragsstil, weltklasse Powerpoints, ungewöhnliche Fragestellungen und Perspektive, Einladung zur Interaktion.
An welchem Projekt arbeiten Sie momentan konkret?
Julian Reiss: Wie immer viel zu viel. Priorität haben zurzeit die Bearbeitung der 2. Auflage meines Lehrbuches Philosophy of Economics und das Schreiben eines populärwissenschaftlichem Textes über wissenschaftliches Arbeiten — die Logik der Forschung, wenn man so will.
Welche Hobbys haben Sie?
Julian Reiss: Unter anderem Kochen (ich war letztes Jahr Kandidat in der ZDF-Sendung Küchenschlacht und bin bis ins Finale der Champions Week gekommen), Klavierspielen, Kunst, Inneneinrichtung, Livemusik, Krimis.
Was wollen Sie in Ihrem Leben unbedingt noch machen oder erreichen?
Julian Reiss: Noch mehr direktes Gehör bei gesellschaftlichen Entscheidungsträger*innen wäre schön. Einmal einen Bestseller schreiben, muss auch gar nicht akademischer Natur sein.