Überraschend soll das Ernst Mach-Stipendium Ukraine mit Ende Wintersemester 2023/24 auslaufen.
Die österreichische Bundesregierung hat auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine mit dem Ernst Mach-Stipendium Ukraine reagiert und damit ukrainischen Studierenden seit dem Sommersemester 2022 die Möglichkeit eröffnet, ihr Studium in Österreich fortzusetzen oder mit einem zu beginnen. Überraschend wurde im Juli dieses Jahres angekündigt, dass das Stipendienprogramm mit Ende Wintersemester 2023/24 ausläuft. Die ukrainischen Studierenden an der Johannes Kepler Universität Linz blicken nun trotz ihrer hervorragenden Leistungen in eine ungewisse Zukunft.
Das Ernst Mach-Stipendium UKRAINE in Höhe von 715 Euro pro Monat wird vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) finanziert und von Österreichs Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) administriert. Voraussetzung ist eine Zulassung zu einem Studium an einer österreichischen Universität. Pro Semester müssen 16 ECTS nachgewiesen werden, wenn eine Verlängerung beantragt wird. Eine geringfügige Beschäftigung ist während des Bezugs des Stipendiums erlaubt.
„Es ist sehr bedauerlich, dass das Ernst Mach-Stipendienprogramm für ukrainische Studierende mit Ende Wintersemester 2023/24 auslaufen soll. Denn es hat ukrainischen Studierenden an der JKU, gemeinsam mit zahlreichen Sofortmaßnahmen, welche die JKU seit Beginn des Kriegs gesetzt hat, eine akademische Perspektive gegeben. Die hervorragenden Leistungen der ukrainischen Studierenden bestätigen die Wirksamkeit des Stipendiums,“ erklärt JKU Rektor Meinhard Lukas.
Außerordentliche Leistungsbilanz
Insgesamt 69 JKU Studierende haben im Sommersemester 2023 das Ernst Mach-Stipendium bezogen. Die Studierenden sind im Durchschnitt 20 Jahre alt. Drei Viertel studieren an der technisch-naturwissenschaftlichen Fakultät, davon belegen 51 % das englischsprachige Bachelorstudium Artificial Intelligence (siehe Abbildung 1). Rund 61 % haben im letzten Semester 16 oder mehr ECTS erworben, also die Leistungsschwelle erreicht, von diesen haben rund 36 % 24 oder mehr ECTS erreicht (siehe Abbildung 2), wobei zu beachten ist, dass noch Prüfungen ausständig sind.
„Das ist eine außerordentliche Leistungsbilanz“, so Univ.-Prof. Johann Bacher vom JKU Institut für Soziologie. „Verantwortlich dafür sind mehrere Faktoren. An erster Stelle sind die hohe Motivation und die enorme Leistungsbereitschaft der Studierenden zu nennen. Dann die Betreuung durch das International Welcome Center (IWC) der JKU und die Unterstützung durch Lehrende. Auch die Tatsache, dass sich die Studierenden gegenseitig helfen und eine Community bilden, spielt eine entscheidende Rolle. Wichtig für den Studienerfolg ist aber auch, dass sich die Studierenden durch das Stipendium auf das Studium konzentrieren können. Ein großes Ausmaß an Erwerbstätigkeit ist eine der Hauptabbruchgründe für ein Studium.“
„Es ist daher wichtig, dass das Stipendienprogramm fortgesetzt oder eine Alternative gefunden wird“, so Prof. Thomas Gegenhuber (Linz Institute of Technology), der sich in der Anfangsphase intensiv um die aus der Ukraine geflüchteten Studierenden gekümmert hat. „Die Studierenden haben sich schnell in das Campusleben integriert. Das englischsprachige Studienangebot der JKU hat zudem den Studienbeginn erleichtert. Viele belegen technisch-naturwissenschaftliche Fächer und erwerben damit an der JKU Schlüsselkompetenzen, die sie zu hochqualifizierten Fachkräften macht, die in Oberösterreich und darüber hinaus sehr gefragt sind.“
Ernst Mach-Stipendium UKRAINE ist Investition in die Zukunft
Läuft das Stipendienprogramm aus, können die Studierenden die Grundversorgung für Fremde bzw. Asylwerber*innen beantragen. Diese ist aber nicht ausreichend, um einen Heimplatz in einem Studierendenheim zu bezahlen (der Mietzuschuss aus der Grundversorgung für Einzelpersonen liegt derzeit in Oberösterreich bei 165 Euro pro Monat, Heimplätze kosten ab ca. 300 Euro). Zudem besteht eine Bemühenspflicht für den Arbeitsmarkt: „Viele der erfolgreichen Studierenden müssten mit einer Erwerbstätigkeit beginnen oder eine bereits bestehende Erwerbstätigkeit intensivieren. Sofern sich Studium und Arbeit zeitlich gut verbinden lassen, ist das integrationspolitisch positiv zu sehen. Ansonsten kann es aber den Studienerfolg gefährden. Wenn wir in Österreich Fachkräfte dringend benötigen, müssen wir es ihnen auch ermöglichen, die entsprechenden Qualifikationen rasch zu erwerben. Das Ernst Mach-Stipendium hat den ukrainischen Studierenden die Möglichkeit gegeben, sich voll auf ihre akademische Zukunft zu konzentrieren. Zudem erhöht ein österreichischer Studienabschluss die Chancen für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration,“ erklärt Prof. Gegenhuber.
Wie wichtig das Ernst Mach-Stipendium für ihr Studium ist, erklärt die 18-jährige Chemiestudentin Marta Mazurchak (Chemistry and Chemical Technology) aus Lviv (Lemberg). In der Ukraine fiel sie bereits mit Höchstleistungen auf, erlangte die Höchstpunktezahl bei der Schulabschlussprüfung im Fach Mathematik und war leidenschaftliche Karate-Sportlerin. Nach der russischen Invasion teilt sich ihr Leben, so wie das vieler Ukrainer*innen, in ein „Vorher“ und ein „Nachher“. „Nach meiner Flucht nach Österreich stellte die finanzielle Absicherung eine der größten Herausforderungen dar. Für mich, genauso wie für die meisten Ukrainer*innen, die studieren wollen, wurde das Ernst Mach-Stipendium zu einer wahren Rettung, ohne Übertreibung. Dank dieses Stipendiums kann ich essenzielle Ausgaben decken, effektiv studieren und, wenn ich das Studium abgeschlossen habe, meine beruflichen Perspektiven als Chemikerin in Österreich erkunden.“
Viele Ukrainer*innen haben parallel noch letzte Prüfungen in der Ukraine abgeschlossen, das Studium an der JKU begonnen, und erste Schritte unternommen Deutsch zu lernen – trotz Mehrfachbelastungen sind die Studierenden sehr erfolgreich. Varvara Toloknova aus Kyjiw hat in der Ukraine Mathematik studiert und belegt nun an der JKU das Fach „Statistik und Data Science“. Auch für die 21-jährige war das Stipendium essenziell: „Das Stipendium hat mir die Möglichkeit gegeben, nicht aufzugeben und mein Studium als angewandte Mathematikerin fortzusetzen. Ich konnte auch eine kleine Wohnung finden und mich auf das Erlernen der deutschen Sprache konzentrieren, um mich besser in die Gesellschaft zu integrieren. So habe ich in einem Jahr das Niveau B2 erreicht. Dieses Stipendium ist eine Chance für Menschen, die viel verloren haben. Jeder von uns ist Österreich sehr dankbar für die Möglichkeit, sich auf eine Ausbildung konzentrieren zu können.“
Abschließend richtet Rektor Lukas einen Appell an das Ministerium: „Das Ernst Mach-Stipendium ist eine Investition in die Zukunft von jungen Menschen, die aufgrund des russischen Angriffskriegs aus ihrem Heimatland Ukraine vertrieben wurden. Diese Zukunft kann mit einer Weiterführung des Stipendiums gesichert werden.“
Eine Übersicht über alle Soforthilfemaßnahmen der JKU für ukrainische Studierende finden Sie hier.