Prof. Johannes Reichl baut derzeit das LIT Future Energy Lab auf. Im Interview erklärt er seine Schwerpunkte.
Was kann man unter dem Bereich Energiewirtschaft verstehen?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Ein funktionierendes Energiesystem hat drei Grundaufgaben zu erfüllen. Erstens soll es Energie allen, die sie benötigen, verlässlich und in ausreichender Menge und Qualität zugänglich machen. Dabei soll zweitens der Preis für Energie kein Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes sein, und drittens die Erzeugung und Verteilung der Energie soll keine Nachteile für Mensch und Umwelt verursachen. Die drei Dimensionen sind nicht immer einfach unter einen Hut zu bringen, und wir nennen dieses Spannungsfeld das energiewirtschaftliche Dreieck. Energiewirtschaftliche Forschung beschäftigt sich damit, wie ein Energiesystem organisiert werden soll, um alle drei Dimensionen möglichst gut zu berücksichtigen.
Worum geht es bei Ihrer Forschung konkret?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Meine Forschung beschäftigt sich damit, wie Anreizmechanismen für die unterschiedlichen Akteur*innen im Energiesystem, z.B. Haushalte und Unternehmen, gestaltet werden müssen, damit die individuellen energierelevanten Entscheidungen ein gesamtgesellschaftliches Vorankommen unterstützen und diesem nicht entgegenwirken. Eine solche Entscheidung kann beispielsweise die Frage sein, ob ein Unternehmen in erneuerbare oder fossile Energie investieren soll, oder ob ein Haushalt sein Elektroauto dann lädt, wenn gerade besonders viel erneuerbarer Strom im Netz ist. Sowohl Unternehmensentscheidungen als auch Haushaltsentscheidungen hängen von Anreizen wie gesetzlichen Rahmenbedingungen, technischer Realisierbarkeit und wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen der jeweiligen Alternativen ab. Ich untersuche mit meinem Team die Erforschung und Entwicklung von Anreizen, um gesellschaftlich vorteilhafte Entscheidungen zu begünstigen.
Warum haben Sie sich für eine Professur an der JKU entschieden?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Meine Forschung kann dann besonders effektiv zu positiven Veränderungen des Energiesystems beitragen, wenn wichtige Bedarfsträger*innen in die Forschung direkt eingebunden werden. Linz ist Standort mehrerer energieintensiver Industrien, die dem Spannungsfeld des energiewirtschaftlichen Dreiecks unmittelbar ausgesetzt sind. Zusätzlich hat Oberösterreich sehr früh begonnen, die Energieinfrastrukturen für die Herausforderungen der Energiewende zu adaptieren. Dies betrifft z.B. die fast vollständige Ausrollung von digitalen Messegeräten zur automatisierten Aufzeichnung des Stromverbrauchs, dem sogenannten "Smart Meter". Die dadurch ermöglichten Messungen und deren zeitnahe Verfügbarkeit für die Konsument*innen erlauben unter anderem die Durchführung experimenteller Forschung zur Anreizwirkung von Stromtarifen, die Konsument*innen anregen, Strom dann zu verbrauchen, wenn dieser vornehmlich aus erneuerbaren Quellen kommt. Die Nähe der JKU zu den Bedarfsträger*innen energiewirtschaftlicher Forschung und die infrastrukturellen Voraussetzungen am Standort bieten exzellente Möglichkeiten, Forschung zur Beantwortung sehr konkreter Fragen für die Weiterentwicklung des Energiesystems zu betreiben.
Was begeistert Sie an Ihrem Forschungsbereich?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Kaum ein Forschungsthema wird so sehr vom unmittelbarem Bedarf nach Lösungen getrieben wie die energiewirtschaftliche Forschung. In engen Zeitabständen werden neue Ziele für die Weiterentwicklung des Energiesystems von regionaler, nationaler und europäischer Politik vorgegeben. Auch die Erwartungen von Bürger*innen an die energiewirtschaftliche Forschung steigen auf Grund der Dringlichkeit einer Reduktion fossiler Energieträger fast kontinuierlich. Diese Voraussetzungen sind ein starker Antrieb für das tägliche Engagement. Der hohe Bedarf an Lösungen führt auch dazu, dass Forschungsideen im Energiebereich oft schneller umgesetzt werden können als dies in ebenso wichtigen, in der öffentlichen Wahrnehmung aber manchmal weniger präsenten, Disziplinen der Fall ist. Kurz gesagt, die gegenwärtige Dynamik und die zahlreichen Möglichkeiten zur Entwicklung von Ideen und deren Beforschung machen den energiewirtschaftlichen Bereich zu einem extrem spannenden Forschungsthema.
Wofür ist diese Forschung überhaupt notwendig bzw. wie verbessert sie unser Leben?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Das letzte Jahr, bzw. die letzten Monate, haben dramatisch gezeigt, was passiert, wenn das energiepolitische Dreieck aus dem Gleichgewicht gerät. Die aktuelle Preissituation ist mehr als nur eine Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu kommen immer größere Bedenken, dass unsere einst als vollkommen sicher erachtete Energieversorgung bei entsprechenden geopolitischen Konflikten plötzlich zu unserer Achillesferse werden könnte. Gleichzeitig führt der notwendige hohe Druck auf einen möglichst raschen Ausstieg aus fossilen Energieträgern potenziell dazu, dass die Risiken einzelner Maßnahmen auf dem Weg zu einem nachhaltigen Energiesystem nicht die notwendige Beachtung finden. Deshalb sind Forschungsergebnisse in unserem Fachbereich zentral, wenn es darum geht, die notwendigen Klimaziele zu erreichen, und zwar so, dass die dafür getroffenen Maßnahmen den langfristigen gesellschaftlichen Fortschritt nicht hemmen sondern begünstigen. Energiewirtschaftliche Forschung verbessert unsere Leben also durch Sicherstellung bzw. Ermöglichung von umwelt- und klimafreundlicher Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen auf deren Verfügbarkeit wir uns langfristig und sorgenfrei verlassen können.
Warum sollten sich Studierende Sie als Lehrende wünschen?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Junge Leute interessieren sich meiner Erfahrung nach sehr für Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und damit im Zusammenhang stehende gesellschaftliche Herausforderungen. Am besten kann jeder Mensch einzeln zur Lösung dieser Herausforderungen beitragen, wenn man die zu Grunde liegenden Systeme und deren Zusammenhänge kennt und so jenseits der teils zu kurz greifenden öffentlichen Debatte an der Entwicklung von langfristig tragfähigen Lösungen mitwirkt. Ich bin überzeugt davon, dass sehr viele Studierende einer solchen ernsthaften Beschäftigung mit den Themen Energiewende und Klimaschutz offen gegenüberstehen und lade alle herzlich dazu ein, die entsprechenden Fragestellungen in meinen Lehrveranstaltungen undogmatisch und ohne erhobenen Zeigefinger zu diskutieren.
An welchem Projekt arbeiten Sie momentan konkret?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Wir werden in einigen Jahren genug Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugen, um auf das Jahr gerechnet den gesamten österreichischen Strombedarf decken zu können. Wind und Sonne liefern uns den Strom aber nicht genau dann, wann wir ihn brauchen. Dies bedeutet, wir werden beispielsweise an sonnigen Tagen im Sommer mehr Strom produzieren als wir im gleichen Zeitraum benötigen, während wir in den dämmrigen Stunden während des Winters zu wenig produzieren. Wir werden auf diese Struktur der erneuerbaren Stromproduktion auf mehrere Arten reagieren müssen. Neben der Entwicklung und Ausrollung von Speicherkapazitäten wird ein wichtiger Baustein die Flexibilisierung unseres Verbrauchs sein. Auf Haushaltebene bedeutet dies, dass wir Strom möglichst dann verbrauchen, wenn er gerade aus erneuerbaren Quellen gemacht wird; also etwa die Wäsche zu waschen, während die Sonne scheint und nicht bei Windstille in den Abendstunden. Wir untersuchen in mehreren Projekten, welche informationsseitigen, technischen und wirtschaftlichen Anreize Haushalte zu dieser Änderung ihrer Gewohnheiten veranlassen können. Generell sind wir in mehreren Projekten der Frage auf der Spur, wie wir Bürger*innen zum Anpassen des Lebensstils an die neuen Anforderungen durch den Klimawandel bewegen können. Ich lade alle dazu ein, sich unsere App Climate Campaigners herunter zu laden. Dabei werden die Nutzer*innen zum Annehmen von Challenges motiviert, die User*innen klimafreundliche Verhaltensweisen am eigenen Leib erleben lassen. Über das Feedback der User*innen erhalten wir Input für die lokale Politik, mit welchen Maßnahmen diese ihre Bürger*innen bei der Entwicklung eines nachhaltigen Lebensstils unterstützen können. Aktuell sind 16 Städte rund um den Globus dabei, die App für ihre Politikentwicklung zu nutzen. Neben Kapstadt in Südafrika und Dublin in Irland sind auch Linz und Freistadt dabei. Ich freue mich, wenn möglichst viele Leser*innen die App nutzen: https://www.climate-campaigners.com/, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster
Welche Hobbys haben Sie?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Meine Frau und ich fahren gerne mit dem Mountainbike, kochen zweifelhafte Social-Media-Rezepte nach und sind gerne in anderen Ländern unterwegs.
Was wollen Sie in Ihrem Leben unbedingt noch machen oder erreichen?
Univ.-Prof. Johannes Reichl: Wenn ich in meiner Pension zum Zeitvertreib Führungen in ehemaligen fossilen Kraftwerken geben kann und das Erzählte für die jungen Führungsteilnehmer*innen so sehr nach einer fernen und kaum noch vorstellbaren Vergangenheit klingt, als würden sie gerade das Kolosseum in Rom besichtigen, dann hätten wir in der Energieforschung eigentlich alles richtig gemacht.